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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Ziel hinausschösse. Ich getraute mich nicht, ihn zu fragen, was oder wie, aber er schien seiner Sache ziemlich sicher zu sein.«
    »Und wer ist der größere Idiot?«
    »Wahrscheinlich Roxburgh, aber groß ist der Unterschied nicht.« Naifeh streckte sich vorsichtig und wanderte zu seinem Schreibtisch. Er hatte die Schuhe ausgezogen, und das Hemd hing über der Hose. Er hatte offensichtlich Schmerzen. »Beide haben einen unersättlichen Appetit auf Publicity. Sie sind wie zwei kleine Jungs, die eine Heidenangst haben, der andere könnte ein größeres Stück Kuchen bekommen. Ich hasse sie, einen wie den anderen.«
    »Jedermann haßt sie, nur die Wähler nicht.«
    Jemand klopfte an der Tür, dreimal, in präziser Folge. »Das muß Nugent sein«, sagte Naifeh. Seine Schmerzen meldeten sich wieder. »Kommen Sie rein.«
    Die Tür wurde rasch geöffnet, und Colonel außer Dienst George Nugent kam ins Zimmer marschiert, hielt nur kurz an, um die Tür zu schließen, und bewegte sich dann amtlichen Schrittes auf Lucas Mann zu, der nicht aufstand, aber trotzdem die angebotene Hand ergriff. »Mr. Mann«, begrüßte Nugent ihn knapp, dann trat er vor und reichte über den Schreibtisch hinweg auch Naifeh die Hand.
    »Setzen Sie sich, George«, sagte Naifeh und deutete auf einen freien Stuhl neben Mann. Naifeh hätte ihm gern befohlen, das militärische Getue zu lassen, aber er wußte, daß das keinen Sinn hatte.
    »Ja, Sir«, erwiderte Nugent. Dann ließ er sich auf dem Stuhl nieder, ohne den Rücken zu beugen. Obwohl in Parchman nur die Wärter und die Häftlinge Uniformen trugen, war es Nugent gelungen, sich eine eigene Uniform zuzulegen. Hemd und Hose waren dunkel olivgrün, genau zueinander passend und perfekt gebügelt mit exakten Falten an den richtigen Stellen, und wunderbarerweise überlebten sie jeden Tag, ohne auch nur im geringsten zu knittern. Die Hose endete ein paar Zentimeter über den Knöcheln, wo sie in einem Paar schwarzer Militärstiefel steckte, die mindestens zweimal täglich auf Hochglanz poliert wurden. Einmal hatte es ein leises Gerücht gegeben, daß eine Sekretärin oder vielleicht auch ein Vertrauenshäftling auf einer der Sohlen einen Schmutzfleck gesehen hätte, aber das Gerücht war unbestätigt geblieben.
    Der oberste Hemdknopf war nicht geschlossen, so daß ein exaktes Dreieck entstand, in dem ein graues T-Shirt zu sehen war. Die Taschen und Ärmel waren kahl und ungeschmückt, frei von Medaillen und Auszeichnungen, und Naifeh argwöhnte seit langem, daß das für den Colonel kein geringes Maß an Demütigung bedeutete. Der Haarschnitt war streng militärisch, mit bloßer Haut über den Ohren und einer dünnen Schicht grauer Stoppeln darüber. Nugent war zweiundfünfzig; er hatte seinem Land vierunddreißig Jahre gedient, zuerst als eifriger Rekrut in Korea und später als Captain in Vietnam, wo er von einem Schreibtisch aus Krieg führte. Er war bei einem JeepUnfall verwundet und danach nach Hause geschickt worden.
    Seit zwei Jahren tat Nugent nun auf bewundernswerte Weise Dienst als stellvertretender Direktor, ein getreuer, loyaler und verläßlicher Untergebener von Naifeh. Er liebte Details und Vorschriften und Bestimmungen. Er verschlang Handbücher und verfaßte ständig neue Verfahrensregeln, Direktiven und Abänderungen und legte sie dem Direktor zur Begutachtung vor. Er ging Naifeh fürchterlich auf die Nerven, wurde aber trotzdem gebraucht. Es war kein Geheimnis, daß der Colonel auf Naifehs Job aus war, sobald er in den Ruhestand trat.
    »George, Lucas und ich haben gerade über die Cayhall-Sache gesprochen. Ich weiß nicht, wieviel Sie über die Einsprüche wissen, aber das Fünfte Berufungsgericht hat den Aufschub annulliert, und wir rechnen mit einer Hinrichtung in vier Wochen.«
    »Ja, Sir«, schnarrte Nugent. »Habe es in der heutigen Zeitung gelesen.«
    »Gut. Lucas ist der Ansicht, daß es diesmal dazu kommen könnte. Stimmt's, Lucas?«
    »Durchaus möglich. Die Chancen stehen besser als fünfzig zu fünfzig« Lucas sagte das, ohne Nugent anzusehen.
    »Wie lange sind Sie jetzt schon hier, George?«
    »Zwei Jahre und einen Monat.«
    Der Direktor rechnete nach und rieb sich dabei die Schläfen. »Also haben Sie die Parris-Hinrichtung verpaßt?«
    »Ja, Sir. Um ein paar Wochen«, erwiderte er mit einem Anflug von Enttäuschung in der Stimme.
    »Sie haben also noch keine mitgemacht?«
    »Nein, Sir.«
    »Nun, sie sind grauenhaft, George. Einfach grauenhaft. Der bei weitem schlimmste

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