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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Antwort auf ein Stück Papier.
    Lieber Randy,
    danke für die Gebete. Außerdem brauche ich eines von meinen Büchern. Es heißt Bronstein's Death Penality Review. Es ist ein grünes Buch. Schick' es her.
    Sam.
    Er gab J. B. den Zettel und wartete mit durch die Stangen gestreckten Armen, während der Kassiber von einer Zelle zur nächsten weitergereicht wurde. Es war fast acht Uhr, immer noch heiß und stickig, aber wenigstens wurde es draußen bereits dunkel. In der Nacht würde die Temperatur auf ungefähr fünfundzwanzig Grad absinken, und mit den schwirrenden Ventilatoren wurden die Zellen halbwegs erträglich.
    Sam hatte im Laufe des Tages mehrere Kassiber erhalten. Alle hatten Mitgefühl und Hoffnung zum Ausdruck gebracht. Alle boten jede mögliche Hilfe an. Die Musik war leiser gewesen, und das Gebrüll, das man gelegentlich hören konnte, wenn jemandes Rechte beschnitten wurden, war ausgeblieben. Der Trakt war nun schon den zweiten Tag viel stiller als sonst. Die Fernseher liefen von morgens bis abends, aber die Lautstärke war gedämpft. In Abschnitt A ging es merklich ruhiger zu.
    »Ich habe einen neuen Anwalt«, sagte Sam leise und mit durch das Gitter gestreckten Händen. Er konnte Gullitts Hände und Handgelenke sehen, aber nie sein Gesicht, wenn sie sich von Zelle zu Zelle unterhielten. Jeden Tag, wenn Sam zu seiner Draußenstunde hinausgeführt wurde, ging er langsam den Gang entlang und schaute seinen Genossen in die Augen. Und sie erwiderten den Blick. Er hatte sich ihre Gesichter eingeprägt, und er kannte ihre Stimmen. Aber es war grausam, wenn man jahrelang neben einem Mann lebte und lange Unterhaltungen mit ihm führte und dabei nichts von ihm sehen konnte als seine Hände.
    »Das ist gut, Sam. Schön, das zu hören.«
    »Ja. Ziemlich kluger Bursche, glaube ich.«
    »Wer ist er?« Gullitt hatte die Hände verschränkt. Sie bewegten sich nicht.
    »Mein Enkel«, sagte Sam gerade so laut, daß Gullitt es hören konnte. Ihm konnte man Geheimnisse anvertrauen.
    Gullitts Finger bewegten sich ein wenig, während er das verdaute. »Dein Enkel?«
    »Ja. Aus Chicago. Große Firma. Glaubt, wir könnten eine Chance haben.«
    »Du hast mir nie erzählt, daß du einen Enkel hast.«
    »Ich hatte ihn seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Gestern ist er aufgekreuzt und hat gesagt, er ist Anwalt und will meinen. all übernehmen.«
    »Wo hat er die letzten zehn Jahre gesteckt?«
    »War vermutlich mit Aufwachsen beschäftigt. Er ist noch ziemlich jung. Sechsundzwanzig, glaube ich.«
    »Du läßt zu, daß ein grüner Junge von sechsundzwanzig deinen Fall übernimmt?«
    Das ärgerte Sam ein bißchen. »In diesem Moment meines Lebens habe ich keine sonderlich große Wahl.«
    »Aber, Sam, du verstehst mehr von der Juristerei als er.«
    »Ich weiß, aber es ist ein gutes Gefühl, da draußen einen wirklichen Anwalt zu haben, der auf einem wirklichen Computer Anträge und Eingaben tippt und sie bei den richtigen Gerichten einreicht. Es ist ein gutes Gefühl, jemanden zu haben, der zum Gericht gehen und mit den Richtern diskutieren kann, jemanden, der mit dem Staat kämpfen kann, und zwar auf gleicher Basis.«
    Das schien Gullitt zufriedenzustellen, denn er schwieg mehrere Minuten. Seine Hände waren unbewegt, aber dann begann er, die Fingerspitzen gegeneinander zu reiben, und das bedeutete natürlich, daß ihm etwas zu schaffen machte. Sam wartete.
    »Ich habe über etwas nachgedacht, Sam. Es hat den ganzen Tag an mir gefressen.«
    »Und was ist das?«
    »Also, seit drei Jahren bist du jetzt hier und ich direkt nebenan, und du bist der beste Freund, den ich in der Welt habe. Du bist der einzige Mensch, dem ich vertrauen kann, und ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn du den Flur entlanggehst und in die Kammer. Ich meine, du bist immer dagewesen und hast dich um meinen juristischen Kram gekümmert, all dies Zeug, das ich nie verstehen werde, und du hast mir immer gute Ratschläge gegeben und mir gesagt, was ich tun soll. Meinem Anwalt in Washington kann ich nicht trauen. Er ruft mich nie an, er schreibt mir nie, und ich weiß einfach nicht, wie es mit meinem Fall weitergehen soll. Ich meine, ich weiß nicht, ob mir noch ein Jahr bleibt oder fünf Jahre, und das macht mich wahnsinnig. Wenn du nicht gewesen wärest, wäre ich inzwischen verrückt geworden. Und was ist, wenn du es nicht schaffst?« Inzwischen zappelten und zuckten seine Hände und unterstrichen die Intensität seiner Worte. Dann verstummte er, und die

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