Die Kammer
deren Väter in der Regel unbekannt waren. Das Durchschnittsalter war fünfzehn. Die Jüngste war elf gewesen. Sie kamen aus den Sozialwohnungen mit einem Baby auf der Hüfte und gelegentlich einem weiteren Kind am Rockzipfel. Sie kamen in Dreier- oder Vierergruppen und machten aus ihren Besuchen ein gesellschaftliches Ereignis. Sie kamen allein und verängstigt. Sie versammelten sich in der ehemaligen Sakristei, die jetzt ein Wartezimmer war, in dem Formulare ausgefüllt werden mußten. Sie warteten mit ihren Säuglingen, während die Kleinkinder unter den Stühlen spielten. Sie unterhielten sich mit ihren Freundinnen, anderen Mädchen aus der Siedlung, die zu Fuß ins Auburn House gekommen waren, weil sie keine Wagen besaßen und ohnehin zu jung waren, um fahren zu dürfen.
Adam stellte seinen Wagen auf einem kleinen Parkplatz ab und fragte den Wachmann nach dem Weg. Er musterte Adam eingehend und deutete dann auf die Vordertür, wo zwei junge Mädchen Babys auf dem Arm trugen und rauchten. Er ging zwischen ihnen hindurch, nickte ihnen zu und versuchte, höflich zu sein, aber sie starrten ihn nur an. Drinnen fand er ein halbes Dutzend ebensolcher Mütter, die auf Plastikstühlen saßen und um deren Füße Kinder herumwieselten. Eine junge Frau an einem Schreibtisch zeigte auf eine Tür und sagte ihm, er sollte den linken Flur entlanggehen. Die Tür zu Lees winzigem Büro stand offen, und sie redete ernst auf eine Patientin ein. Sie lächelte Adam zu. »In fünf Minuten bin ich soweit«, sagte sie und hielt etwas hoch, das wie eine Windel aussah. Die Patientin hatte kein Kind bei sich, würde aber sehr bald eines haben.
Adam ging ein Stück weiter und fand die Herrentoilette. Als er herauskam, wartete Lee auf dem Flur auf ihn. Sie küßten einander kurz auf die Wange. »Was hältst du von unserem kleinen Unternehmen?« fragte sie.
»Was genau tust du hier?« Sie gingen durch einen engen Flur mit einem abgeschabten Teppich und abblätternder Farbe an den Wänden.
»Auburn House ist eine gemeinnützige Organisation mit ehrenamtlichen Helfern. Wir kümmern uns um junge Mütter.«
»Das muß deprimierend sein.«
»Kommt drauf an, wie man es sieht. Willkommen in meinem Büro.« Lee deutete auf ihre Tür, und sie traten ein. An den Wänden hingen bunte Poster. Eines zeigte eine Reihe von Säuglingen und die Nahrung, die sie brauchten; ein anderes listete in großen, einfachen Worten die häufigsten Krankheiten von Neugeborenen auf; eine Zeichnung im Comicstil pries die Vorzüge von Kondomen. Adam setzte sich und betrachtete die Wände.
»All unsere Mädchen kommen aus Sozialwohnungen, du kannst dir also vorstellen, was ihnen zu Hause über Säuglingspflege beigebracht wird. Keines von ihnen ist verheiratet. Sie leben mit ihren Müttern oder Tanten oder Großmüttern zusammen. Auburn House wurde vor ungefähr zwanzig Jahren von ein paar Nonnen begründet, die den Mädchen beibringen wollten, wie man gesunde Kinder aufzieht.«
Adam deutete mit einem Kopfnicken auf das Kondom-Poster. »Und verhindert, daß man welche bekommt?«
»Ja. Wir betreiben keine Familienplanung und wollen es auch nicht, aber ein Hinweis auf Geburtenkontrolle kann nicht schaden.«
»Vielleicht solltet ihr mehr tun, als nur darauf hinzuweisen.«
»Vielleicht. Sechzig Prozent der Kinder, die im letzten Jahr in diesem Bezirk geboren wurden, waren unehelich, und die Zahl steigt von Jahr zu Jahr. Und jedes Jahr gibt es mehr Fälle von mißhandelten und ausgesetzten Kindern. Es kann einem das Herz brechen. Viele von diesen kleinen Dingern haben nicht die geringste Chance.«
»Wer finanziert diese Sache?«
»Privatpersonen. Wir verbringen die Hälfte unserer Zeit damit, Spenden lockerzumachen. Wir arbeiten mit einem sehr mageren Budget.«
»Wie viele Beraterinnen wie dich gibt es?«
»Ungefähr ein Dutzend. Einige von ihnen arbeiten ein paar Nachmittage pro Woche, andere samstags. Ich habe Glück. Ich kann es mir leisten, ständig hier zu arbeiten.«
»Wie viele Stunden pro Woche?«
»Ich weiß es nicht. Es ist niemand da, der sie zählt. Ich komme gewöhnlich gegen zehn und gehe, wenn es dunkel wird.«
»Und das tust du unentgeltlich?«
»Ja. Bei euch heißt das probono, glaube ich.«
»Bei Anwälten ist das anders. Wir tun ehrenamtliche Arbeit, um uns und unser Geld zu rechtfertigen. Es ist unser kleiner Beitrag für die Gesellschaf. Aber wir scheffeln trotzdem eine Menge Geld, verstehst du? Hier liegen die Dinge ein wenig
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