Die Kampagne
hinterher, Katie dicht auf den Fersen. Sie polterten die Treppe hinunter. Shaw lief so schnell, wie sein verletzter Arm es ihm erlaubte, doch der viel kleinere und behändere Lesnik huschte bereits durch die Tür und auf die Straße, als Shaw und Katie noch auf dem letzten Absatz waren.
Shaw stieß die Tür auf und blieb stehen, um die Straße in beiden Richtungen abzusuchen. Katie stieß gegen ihn. Sie packte ihn am Jackett.
»Hast du den Verstand verloren?«, fuhr sie ihn an.
Plötzlich sah Shaw den Polen auf der anderen Straßenseite. Er rannte an der Themse entlang. Shaw sprang zwischen den hupenden Autos hindurch. Katie folgte ihm und rief verzweifelt, er solle stehen bleiben, ehe er sie alle umbringe.
Shaw brüllte Lesnik hinterher, der über den Bürgersteig eilte. Der Pole warf einen gehetzten Blick über die Schulter. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Der Schuss traf ihn genau zwischen die Augen. Einen Moment stand er einfach nur da, als hätte er gar nicht gemerkt, dass sein Leben plötzlich geendet hatte. Dann kippte er nach hinten und über die Brüstung. Ein paar Augenblicke, nachdem Lesnik in der trüben Themse verschwunden war, nahm das Wasser sekundenlang eine dunkelrote Färbung an.
Beim Klang des Schusses hatte Shaw sich sofort geduckt. Als Katie an ihm vorbeirennen wollte, streckte er den gesunden Arm aus, packte sie am Bein und riss sie hinter einem parkenden Auto in Deckung.
»Bleib unten!«, befahl er. »Das war ein Scharfschützengewehr.« Vorsichtig lugte Shaw über die Motorhaube und suchte nach einem Hinweis auf den Schützen, entdeckte aber keinen.
Dann schaute er zu Katie, und seine Miene entspannte sich wieder. Sie zitterte.
»Ist ja gut.« Shaw legte ihr den Arm um die Schulter.
»Nein, nichts ist gut!«, zischte sie und schüttelte ihn ab. »Du musstest ja unbedingt hierherkommen und wie ein Elefant durch die Tür stürmen. Und jetzt ist ein Unschuldiger tot! Wegen dir!«
»Wir wissen beide nicht, wie unschuldig er wirklich ist«, erwiderte Shaw ruhig. »Aber jetzt müssen wir erst mal weg von hier. Die Polizei ...«
»Du kannst meinetwegen weglaufen. Ich will mit der Polizei reden. Das gibt bestimmt tolles Hintergrundmaterial für die Story.«
»Du willst den Artikel immer noch schreiben?«, fragte Shaw ungläubig.
»Darauf kannst du wetten. Und weißt du, was seltsam ist? Bevor du die Tür eingetreten hast, wollte ich die Story eigentlich zurückhalten - jedenfalls eine Zeit lang. Aber jetzt?« Sie schaute in die Richtung, wo Lesnik verschwunden war. »Jetzt habe ich meine Meinung geändert.«
»Katie, hör zu ...«
Sie unterbrach ihn erneut. »Nein, du hörst jetzt mir zu, Shaw. Ich weiß, dass die Frau, die du geliebt hast, ermordet worden ist. Ich weiß, wie sehr dich das schmerzt. Ich weiß, dass dein Leben im Augenblick sogar noch beschissener ist als meins, aber du hast da oben eine Grenze überschritten. Ich werde dir nie mehr vertrauen.«
Sirenengeheul ertönte. Shaw drehte sich um, wandte sich dann aber wieder Katie zu.
»Du solltest jetzt besser gehen«, sagte Katie. »Im Augenblick ist die Polizei nicht gerade dein bester Freund.«
»Du weißt nicht, worauf du dich hier einlässt, Katie.«
»Worauf ich mich hier einlasse, du verdammter Hurensohn, ist die Wahrheit! Und jetzt mach, dass du von hier verschwindest!«
Kurz funkelte Shaw sie an, doch seine Augen schienen ihre Wirkung auf sie verloren zu haben.
»Sofort!«, rief sie.
Als Shaw sich erhob, sagte Katie: »Und mach dir keine Sorgen. Ich werde dich nicht in der Story erwähnen. Betrachte das als Abschiedsgeschenk.«
Kapitel 63
K atie rief Kevin Gallagher an und berichtete ihm, was geschehen war. Nachdem sie geendet hatte, stellte er nur eine Frage: »Wann liefern Sie die Story ab?«
»Ist schon geschrieben. Ich kann sie Ihnen sofort mailen. Dann können Sie sie meinetwegen noch prüfen, wie Sie wollen, und sie dann veröffentlichen.«
»Und Ihr Kontaktmann ist tot?«
»Ja. Die Polizei untersucht den Fall bereits.«
»Hat man auch mit Ihnen gesprochen?«
»Ich habe ihnen nur das Wichtigste gesagt. Nichts von dem, was der Mann mir erzählt hat. Das schafft es auf die Titelseite, stimmt's, Kevin?«
»Natürlich! Vier Zoll Schlagzeile, Katie. Genauso groß wie bei einer Kriegserklärung. Schicken Sie die Story los. Ich rufe Sie an, sobald ich sie gelesen habe.«
Katie legte auf, zögerte einen Moment, klickte den Senden-Button, und die E-Mail flog über den großen Teich. Genauso
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