Die Kampagne
geistigen Auge, die in genau der gleichen Position gewesen war wie sie, und dann die Kugeln, die ihren Leib zerfetzt hatten. Wenn Anna nur einen Moment vorher gesprungen wäre ...
»Ich komme!«, rief Katie dem Mann unten zu, der hin und her sprang, die kräftigen Arme ausgestreckt, und abzuschätzen versuchte, wo sie aufkommen würde. »Verfehlen Sie mich nicht!«
Katie sprang. Ein paar Sekunden später lagen sie und der Mann übereinander. Katie löste sich von ihrem Retter und rappelte sich auf. Sämtliche Körperteile schienen intakt zu sein. Mit Ausnahme einiger blauer Flecken am Arm und eines aufgeschürften Knies ging es ihr gut. Katie drückte dem Mann 25 Pfund in die Hand, gab ihm einen Kuss und rannte los.
Sie bog um die Ecke, lief von dem Haus weg. Sie schaute nicht zurück; deshalb sah sie nicht, wie der Mann aufsprang und ihr hinterhereilte. Es entging ihr auch, wie ein weiterer Mann auf die Straße stürmte und sich ebenfalls an die Verfolgung machte. Sollte sie schreien? Es waren jede Menge Leute in der Gegend. Aber was, wenn die Kerle Waffen hatten? Sie hatten ja auch den armen Lesnik inmitten von einer Million Leuten abgeknallt. Verzweifelt hielt Katie nach einem Cop Ausschau, sah aber keinen.
Den dritten Mann registrierte sie gar nicht, denn er kam ihr entgegen. Er war das Sicherheitsnetz, für den Fall, dass das erste Team versagte, und wie es aussah, bekam er seine Chance. Er ließ eine Spritze aus dem Mantelärmel gleiten, nahm die Kappe von der Nadel und lief los.
Kapitel 68
D as Taxi bog auf die Straße, und Shaw schaute sich um. Nach wenigen Augenblicken entdeckte er Katie. Der Ausdruck des Entsetzens auf ihrem Gesicht war eindeutig. Sie rannte. Shaw sah einen der Männer hinter ihr. Und er war mit Sicherheit nicht allein.
Und dann geschah es. Shaw sah, wie das Sonnenlicht sich auf dem Gegenstand in der Hand des Mannes spiegelte. Er sprang aus dem noch fahrenden Taxi und rannte los.
Katie und der Mann waren nur noch wenige Zoll voneinander entfernt. Er zog die Hand mit der Spritze zurück und stieß zu, zielte auf ihren Bauch.
Katie schnappte nach Luft, als der Kerl vor ihr von einem weit größeren Mann beiseite gestoßen wurde. Sie spürte, wie etwas ihren Arm ritzte, schaute nach unten und sah, wie die Nadel sie nur um Haaresbreite verfehlte. Dann beobachtete sie, wie Shaw die Hand des Mannes packte, sie umdrehte, die Nadel tief in dessen Brust trieb und die Spritze durchdrückte. Der Mann starrte entsetzt auf das Ding, das aus seinem Körper ragte. Er stieß Shaw von sich, rappelte sich auf und lief die Straße hinunter. Seine Lippen waren bereits taub, während das tödliche Gift sich einen Weg durch seine Adern bahnte. Caesar hatte sich nicht für Ricin entschieden, wie es dem Bulgaren Georgi Markow mittels eines Schirms ins Bein gerammt worden war. Was sich nun im Körper des Mannes ausbreitete, war eine massive Dosis Tetrodotoxin, eine Substanz, die tausendmal stärker war als Zyankali und für die es kein Gegenmittel gab.
Binnen 20 Minuten würde er tot sein.
Shaw packte Katie am Arm. Gemeinsam rannten sie zur Euston Station, sprangen in die Tube, fuhren bis King's Cross, gelangten wieder ans Tageslicht und schnappten sich ein Taxi. Shaw sagte dem Fahrer, er solle einfach losfahren; dann blickte er Katie an.
Sie hatte kein Wort zu ihm gesagt, nicht während sie gelaufen waren und auch nicht in der U-Bahn. Shaw kam ein schrecklicher Gedanke. »Die Spritze! Sie hat dich doch nicht ...?«
Katie legte ihm zitternd die Hand auf den Arm. »Nein, hat sie nicht. Danke für deine Hilfe. Woher hast du das gewusst?«
»Das war mehr Glück als Verstand.« Shaw lehnte sich zurück.
»Das eben war die dritte Partei, nicht wahr?«, fragte Katie.
Shaw nickte. »Das war die dritte Partei.«
Katie schaute aus dem Fenster, während das Taxi sich durch den Londoner Verkehr wand. Der Nachmittag wich rasch der Dämmerung. »Wohin fahren wir?«
Shaw schwieg.
»Shaw?«
»Ich habe dich schon gehört. Ich habe nur keine Antwort darauf.«
»Es tut mir leid, dass ich nicht auf dich gehört habe, was Lesnik betrifft.«
»Mir auch«, erwiderte Shaw rundheraus.
»Ich hätte die Story nicht schreiben sollen.«
»Nein, hättest du nicht.«
»Wir sind geliefert, stimmt's?«
»Sieht so aus. Und habe ich dir nicht gesagt, du sollst bleiben, wo du bist?«
»Sie waren im Haus. Ich musste weg.«
»Wie bist du rausgekommen?«
»Ich ...« Katie hielt inne. Sie wollte ihm nicht sagen, dass sie aus
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