Die Kampagne
Gesicht, den er dem Perser zu verdanken hatte, dem Kerl, der nie wieder in Freiheit kommen würde.
»Das Gepäck kam ein wenig schneller aus der Maschine, als ich gedacht habe. Es sieht schlimmer aus, als es ist.«
Als sie einander schließlich wieder losließen, schaute Anna zu ihm hinauf; doch mit ihren eins achtzig und dank ihrer hohen Absätze musste sie sich nicht allzu weit recken.
»Wie war die Vorlesung?«, fragte er.
»Ziemlich gut besucht. Aber das lag wohl vor allem am hervorragenden und noch dazu kostenlosen Buffet, das eines der besten indischen Restaurants der Stadt ausgerichtet hat. Ich bin enttäuscht, dass du nicht gekommen bist. Dann hätte ich mir dich wenigstens in Unterwäsche vorstellen können.«
»Warum vorstellen, wenn du es auch in echt haben kannst?«
Anna küsste ihn und schlang ihre langen, schlanken Finger um seine Hände.
Shaw hielt ihr das Buch hin, das er gerade gekauft hatte.
»Du hast dafür bezahlt?«, sagte sie. »Ich hätte dir umsonst eins geben können. Sie haben mir alle nicht verkauften Exemplare geschickt. Es waren so viele, dass ich in meinem Büro Möbel daraus gemacht habe.«
»Na ja, für das hier bekommst du in jedem Fall Tantiemen. Signierst du es für mich?«
Anna holte ihren Stift heraus und schrieb etwas ins Buch. Als Shaw nachschauen wollte, sagte sie. »Lies es später. Nach Dublin.«
»Danke.«
»Du interessiert dich für Polizeistaaten?«, fragte sie.
»Ich komme so viel herum, dass ich mich mindestens einmal im Monat in einem solchen aufhalte.«
Vor drei Jahren war Shaw förmlich in Anna hineingerannt, in einer Gasse in Berlin. Anna wurde soeben von zwei Männern überfallen, und Shaw hatte gerade eine Mission hinter sich, nicht unähnlich der in Amsterdam, und war dementsprechend mieser Laune. Als die Schläger ihn sahen, begingen sie einen großen Fehler: Sie glaubten, nun könnten sie gleich zwei Opfer auf einmal ausrauben.
Die Polizei, die ein paar Minuten später erschien, rief den Rettungswagen, um die beiden bewusstlosen Räuber abholen zu lassen. Den einen hatte Shaw so hart am Kinn getroffen, dass er sich fast die Hand gebrochen hätte.
Von dem Moment an, da er Anna Fischer zerschunden und blutend in der schummrigen Gasse der deutschen Hauptstadt gesehen hatte, wusste Shaw, dass sein Herz ihm nie mehr allein gehören würde.
Inzwischen waren seit diesem ersten Zusammentreffen fast drei Jahre vergangen, und Annas Gefühle für Shaw waren immer stärker geworden. Shaw wusste, dass sie ihn liebte; aber er spürte auch ihre wachsende Verwirrung ob seiner Weigerung, sich enger zu binden.
Nun, das würde sich jetzt ändern. Shaw war Frank zwar noch nicht los, aber er konnte nicht länger warten. Er würde schon dafür sorgen, dass das hier klappte ... irgendwie.
»Du bist so nachdenklich«, bemerkte Anna beim Abendessen. Mit ihren 38 Jahren trug sie ihr Haar noch immer lang. Verführerisch legte es sich in Wellen um ihren germanischen Leib, der wie gemeißelt war.
»Ich bin bloß hungrig«, erwiderte Shaw. »Ich nehme an, Coddle gibt es hier nicht.« Coddle war ein Arbeiteressen, bestehend aus Speck, Kartoffeln, Zwiebeln und Wurst, mit Pfeffer gewürzt.
»Hier nicht, aber wir können auch woandershin gehen.«
»Ist schon okay. In den letzten Jahren ist das Essen in Dublin deutlich besser geworden.«
»Ja, obwohl ich noch immer nicht verstehe, warum im Irish Stew keine Möhren sind.« Anna lächelte schelmisch über ihr Weinglas hinweg. »Selbst die Engländer tun Möhren in ihren Eintopf.«
»Genau das ist der Grund, warum die Iren es nicht tun.«
Später, nach dem Essen, fragte Anna: »Erzähl mal, was hast du diesmal in Amsterdam gemacht?«
»So wenig wie möglich.«
»Als Unternehmensberater läuft es im Moment wohl nicht so gut?«
»Lass uns gehen«, sagte Shaw. »Es gibt da einen Ort, den ich dir zeigen möchte.«
Shaw wusste, wie angespannt er klang, und er sah, dass Anna es auch fühlte.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie. »Du bist so ... ich weiß nicht, so geheimnisvoll.«
Shaw leckte sich die trockenen Lippen und versuchte sich an einem Lächeln. »Ich dachte, das Geheimnisvolle magst du so an mir.«
Shaw glaubte seinen eigenen Worten nicht, und es war offensichtlich, dass Anna es auch nicht tat.
Er stand auf. Seine Knie zitterten ein wenig, und er verfluchte sich im Geiste selbst.
Ich bin aus dem dritten Stock in einen versifften Kanal gesprungen und habe fast im Alleingang eine Bande irrer Terroristen
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