Die Kandidaten
Erholung,
gefolgt von einem weiteren kleinen Kurseinbruch, aber
langfristig kannte der Yen nur eine Richtung, nach oben, und für
den Dollar ging es stetig nach unten. Das Gleiche galt für das
Verhältnis von Yen zu D-Mark, Pfund und Lira. Nat beschloss,
herauszufinden, welche Wechselkurse die größten Differenzen
aufwiesen. Sobald sie wieder in Boston waren, würde er mit
Toms Vater reden. Lieber wollte er die Devisenabteilung der
Russell’s Bank konsultieren, als seine Ideen jemandem offen zu
legen, den er nicht kannte.
Nat betrachtete seine schlafende Frau. Er war dankbar für
ihren Vorschlag, den Wechselkurs zum Thema seiner
Diplomarbeit an der Business School zu machen. Die Zeit in
Harvard würde nur allzu schnell verstreichen und ihm war klar,
dass er eine Entscheidung, die ihrer beider Zukunft betraf, nicht
hinausschieben durfte. Sie hatten bereits über drei Alternativen
gesprochen: Er könnte sich eine Stelle in Boston suchen, damit
Su Ling in Harvard bleiben konnte, aber sie hatte darauf
hingewiesen, wie sehr das seine Möglichkeiten einschränken
würde. Er könnte Mr Russells Angebot annehmen und sich Tom
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in einer großen Bank in einer Kleinstadt anschließen, aber das
würde seine künftigen Aussichten nachhaltig einschränken.
Oder er könnte sich um eine Stelle in der Wall Street bewerben
und feststellen, ob er in der Oberliga mitspielen konnte.
Su Ling hatte keinerlei Zweifel, welche der Optionen er in die
Tat umsetzen sollte, und obwohl sie noch Zeit hatten, um über
ihre Zukunft nachzudenken, hatte sie bereits erste Kontakte mit
Columbia aufgenommen.
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NAT BEDAUERTE WENIG, wenn er auf sein letztes Jahr in
Harvard zurückblickte.
Nur wenige Stunden nach der Landung auf dem Logan
International Airport rief er Toms Vater an und unterbreitete
ihm seine Währungsideen. Mr Russell wies darauf hin, dass die
Summen, mit denen er handeln wollte, zu klein für jede
Devisenabteilung wären. Nat war enttäuscht, doch dann schlug
Mr Russell vor, dass die Bank ihm ein Darlehen von eintausend
Dollar gewähren könnte, und er erkundigte sich, ob er und Tom
ebenfalls je tausend Dollar investieren dürften. So gründete Nat
seinen ersten Devisenfonds.
Als Joe Stein von dem Projekt erfuhr, tauchten am selben Tag
weitere eintausend Dollar auf. Innerhalb eines Monats war der
Fonds auf zehntausend Dollar angewachsen. Nat sagte zu Su
Ling, dass er mehr fürchte, das Geld der Investoren zu verlieren,
als sein eigenes. Am Ende des Quartals war der Cartwright-
Fonds auf vierzehntausend Dollar angewachsen und Nat hatte
einen Gewinn von siebenhundertsechsundzwanzig Dollar
gemacht.
»Du könntest immer noch alles verlieren«, rief ihm Su Ling
ins Gedächtnis.
»Stimmt, aber da der Fonds jetzt umfangreicher ist, minimiert
sich die Wahrscheinlichkeit eines großen Verlustes. Selbst wenn
sich der Trend plötzlich umkehren sollte, könnte ich mich
weitgehend schützen, indem ich vorzeitig verkaufe und die
Verluste auf ein Mindestmaß beschränke.«
»Aber nimmt das nicht zu viel von deiner Zeit in Anspruch,
wo du doch eigentlich an deiner Abschlussarbeit schreiben
solltest?«, fragte Su Ling.
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»Ich brauche nur etwa fünfzehn Minuten pro Tag«, wehrte Nat
ab.
»Ich schaue mir jeden Morgen um 6 Uhr den japanischen
Markt an und um 18 Uhr die Schlussnotierungen in New York.
Solange ich es nicht mehrere Tage in Folge mit einer
Trendwende zu tun habe, muss ich nichts weiter tun, als das
Kapital jeden Monat neu zu investieren.«
»Das ist obszön«, erklärte Su Ling.
»Was soll denn falsch daran sein, meine Fähigkeiten, mein
Wissen und eine Prise Unternehmergeist einzusetzen?«, fragte
Nat.
»Weil du in fünfzehn Minuten am Tag mehr verdienst, als ich
in einem Jahr als leitende Forscherin an der Columbia
University – möglicherweise verdienst du sogar mehr als mein
Chef.«
»Dein Chef wird aber heute in einem Jahr immer noch auf
seinem Stuhl sitzen, egal, was mit dem Devisenmarkt passiert.
Das nennt man freies Unternehmertum. Und der Haken ist, dass
ich dabei alles verlieren kann.«
Nat erzählte seiner Frau nicht, dass der britische
Wirtschaftswissenschaftler Maynard Keynes einmal gesagt
hatte: Ein kluger Mann sollte in der Lage sein, noch vor dem
Frühstück ein Vermögen zu machen, damit er den Rest des
Tages einer ordentlichen Arbeit nachgehen kann. Er wusste,
welche Vorbehalte seine Frau gegenüber leicht verdientem
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