Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kandidaten

Die Kandidaten

Titel: Die Kandidaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Archer
Vom Netzwerk:
seinem
    Vater zu erklären, warum die Änderungen notwendig waren,
    hätte es womöglich nie einen Sechs-Monats-Bericht gegeben.
    An den meisten Abenden kam Nat erschöpft und manchmal
    wütend nach Hause. Er warnte Su Ling, dass es eine Kraftprobe
    geben könnte, sobald er seinen Bericht vorlegte. Und er war sich
    keineswegs sicher, ob er immer noch Vizepräsident der Bank
    sein wollte, wenn der Vorstandsvorsitzende nicht in der Lage
    war, alle Veränderungen zu schlucken, die er empfahl. Su Ling
    beschwerte sich nicht, obwohl sie es erst vor kurzem geschafft
    hatte, ihre kleine Familie in dem neuen Haus einzuquartieren,
    die Wohnung in New York zu verkaufen, eine Vorschule für
    Luke zu finden und ihre Vorlesungen als Statistikprofessorin an
    der UConn für den Herbst vorzubereiten. Die Vorstellung,
    wieder nach New York zu ziehen, gefiel ihr gar nicht.

    346
    Daneben beriet sie Nat, welche Computer für die Bank am
    kostengünstigsten sein würden, überwachte deren Installation
    und veranstaltete Abendkurse für jene Bankangestellten, die
    mehr lernen wollten, als nur, wie man einen Computer
    einschaltet. Aber Nats größtes Problem war die chronische
    personelle Überbesetzung. Er hatte den Vorstandsvorsitzenden
    bereits darauf hingewiesen, dass die Russell Bank derzeit 71
    Belegschaftsmitglieder zählte und dass die Bennett Bank, die
    einzige andere unabhängige Bank der Stadt, dieselben
    Leistungen mit nur 39 Angestellten anbot. Nat erstellte einen
    getrennten Bericht über die finanziellen Folgen der personellen
    Überbesetzung und schlug ein Vorruhestandsprogramm vor, das
    zwar die Gewinne der nächsten drei Jahre beschneiden, aber
    langfristig zu Gunsten der Bank arbeiten würde. Das war der
    Dreh- und Angelpunkt, an dem Nat nicht nachgeben wollte. Wie
    er Tom beim Abendessen mit Su Ling erklärte, würden sie alle
    arbeitslos werden, wenn sie damit noch zwei Jahre bis zur
    Pensionierung von Mr Russell warteten.
    Sobald Mr Russell Nats Bericht gelesen hatte, beraumte er für
    Freitagabend 18 Uhr eine Krisensitzung ein. Als Nat und Tom in
    das Büro des Vorstandsvorsitzenden traten, schrieb er gerade
    einen Brief. Bei ihrem Eintritt sah er auf.
    »Es tut mir Leid, dass ich nicht in der Lage bin, euren
    Empfehlungen zu folgen«, sagte Mr Russell, noch bevor seine
    beiden Vizepräsidenten sich setzen konnten. »Ich habe nicht
    vor, Angestellte zu entlassen, mit denen ich teilweise seit dreißig
    Jahren zusammenarbeite.« Nat versuchte angesichts der
    Aussicht, zweimal in sechs Monaten gefeuert zu werden, zu
    lächeln. Er fragte sich, ob Jason bei Chase immer noch eine
    Stelle für ihn hatte. »Darum bin ich zu dem Schluss
    gekommen«, fuhr der Vorstandsvorsitzende fort, »dass dieser
    Plan nur funktionieren kann« – er legte beide Hände auf den
    Bericht, als ob er ihn segnen wollte –, »wenn die Person, die

    347
    gehen muss, ich selbst bin.« Er unterschrieb den Brief, den er
    aufgesetzt hatte, und reichte seinem Sohn seine Kündigung.
    Bill Russell verließ das Büro an jenem Abend um 18 Uhr 12
    und betrat das Gebäude niemals wieder.

    *
    »Welche Qualifikationen haben Sie für ein öffentliches Amt?«
    Fletcher sah von seinem Podest aus auf die kleine Gruppe an
    Journalisten, die vor ihm saß. Harry lächelte. Das war eine von
    siebzehn Fragen, deren Antworten sie am Vorabend vorbereitet
    hatten.
    »Ich habe nicht sehr viel Erfahrung«, räumte Fletcher ein,
    entwaffnend, wie er hoffte, »aber ich wurde in Connecticut
    geboren und bin dort aufgewachsen, bevor ich nach New York
    ging und in eine der angesehensten Kanzleien des Landes
    eintrat. Ich möchte die Fähigkeiten, die ich mir dort erworben
    habe, für die Menschen von Hartford einsetzen.«
    »Denken Sie nicht, dass Sie mit sechsundzwanzig noch ein
    wenig zu jung sind, um uns zu sagen, wie wir unser Leben zu
    führen haben?«, wollte eine junge Dame aus der zweiten Reihe
    wissen.
    »Ich war im selben Alter«, warf Harry ein, »und Ihr Vater hat
    sich nie beklagt.« Ein oder zwei der älteren Berichterstatter
    lächelten, aber die junge Frau ließ sich nicht so einfach
    abspeisen.
    »Sie kamen damals aus einem Weltkrieg zurück, Senator, und
    hatten drei Jahre Erfahrung als Offizier an der Front. Darf ich
    fragen, Mr Davenport, ob Sie Ihren Einberufungsbescheid
    während des Vietnamkrieges verbrannt haben?«
    »Nein, das habe ich nicht«, sagte Fletcher. »Ich habe nie einen

    348
    Einberufungsbescheid erhalten. Wenn ich einen erhalten

Weitere Kostenlose Bücher