Die Kandidaten
Vergangenheit haben sich diese Stimmen
als irrelevant erwiesen, weil man in Madison mit der
Auszählung erst am Morgen nach der Wahl beginnt, wenn das
Gesamtergebnis längst verkündet worden ist. Es ist eine Farce,
aber eine jener Traditionen, die die guten Bürger von Madison
nicht auf dem Altar moderner Technologie opfern wollen.«
»Und du willst trotzdem, dass ich dort einen ganzen Tag
verbringe?«
»Ja, denn wenn einer von euch beiden mit weniger als
fünftausend Stimmen führt, wird Madison plötzlich die
wichtigste Stadt im ganzen Staat.«
»Glaubst du wirklich, dass es so eng werden könnte, wo Bush
die Umfragen immer noch haushoch anführt?«
» Noch ist hier das entscheidende Wort, denn Clinton knöpft
ihm Tag für Tag etwas von dieser Führung ab. Wer weiß, wer
am Ende im Weißen Haus sitzt – oder im Gouverneurssitz.«
Fletcher erwiderte nichts.
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»Du scheinst heute Morgen mit deinen Gedanken nicht ganz
bei der Sache zu sein«, meinte Jimmy. »Geht dir etwas durch
den Kopf, was du mit mir besprechen möchtest?«
*
»Sieht so aus, als ob Nat ganz locker gewinnen wird«,
verkündete Julia hinter der Tageszeitung.
»Wir haben noch mehrere Wochen vor uns, bevor der erste
Stimmzettel in die Wahlurnen geworfen wird«, rief Tom seiner
Frau in Erinnerung.
»Falls Nat Gouverneur werden sollte, wirst du all die
Aufregung bestimmt vermissen. Nach allem, was ihr beide
durchgemacht habt, könnte es etwas ernüchternd sein, wieder zu
Fairchild zurückzukehren.«
»Ehrlich gesagt habe ich jedwedes Interesse am Bankwesen
schon an dem Tag verloren, als Russell übernommen wurde.«
»Du stehst kurz davor, Vorstandsvorsitzender der größten
Bank im ganzen Bundesstaat zu werden.«
»Nicht, wenn Nat die Wahl gewinnt«, sagte Tom.
Julia legte die Zeitung beiseite. »Ich weiß nicht, ob ich das
jetzt verstehe.«
»Nat hat mich gebeten, ihm als Stabschef zur Seite zu stehen,
falls er Gouverneur wird.«
»Und wer wird dann Vorstandsvorsitzender der Bank?«
»Du natürlich«, sagte Tom. »Jeder weiß doch, dass du für
diesen Job am besten geeignet bist.«
»Fairchild würde niemals eine Frau zur Vorstandsvorsitzenden
erklären. Dazu sind wir viel zu konservativ.«
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»Wir leben im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, Julia.
Dank dir sind fast die Hälfte unserer Kunden Frauen. Und was
den Vorstand betrifft, vom Personal ganz zu schweigen, so
denken in meiner Abwesenheit ohnehin die meisten, dass du
bereits Vorstandsvorsitzende bist.«
»Aber falls Nat verliert, wird er davon ausgehen, dass er
Vorstandsvorsitzender von Fairchild wird, mit dir als seinem
Stellvertreter, und dann ist diese Frage nur noch rein
akademisch.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, entgegnete Tom. »Vergiss
nicht, dass Jimmy Overman, Connecticuts dienstältester Senator,
bereits angekündigt hat, dass er sich nächstes Jahr nicht noch
einmal zur Wahl stellen wird. Kein anderer als Nat kommt in
Frage, um ihn zu ersetzen. Wer von beiden auch Gouverneur
wird, ich bin sicher, der andere wird als Senator nach
Washington gehen.« Er schwieg. »Vermutlich ist es nur eine
Frage
der
Zeit,
bevor
Nat
und
Fletcher
als
Präsidentschaftskandidaten gegeneinander antreten.«
»Glaubst du, ich könnte den Job übernehmen?«, fragte Julia
leise.
»Nein«, sagte Tom. »Man muss in Amerika geboren sein, um
Präsident zu werden.«
»Ich meine doch nicht die Präsidentschaft, du Idiot, sondern
den Vorstandsvorsitz bei Fairchild.«
»Das war mir schon an dem Tag klar, als wir uns das erste Mal
begegnet sind«, erklärte Tom. »Ich fürchtete damals nur, ich
könnte in deinen Augen nicht gut genug sein, um dein Ehemann
zu werden.«
»Ach, was sind Männer doch schwer von Begriff«, sagte Julia.
»Ich war mir schon sicher, dass ich dich heiraten würde, als wir
bei Su Ling und Nat zum Abendessen eingeladen waren.«
Tom öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
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»Wie anders mein Leben doch verlaufen wäre, wenn die
andere Julia Kirkbridge zu derselben Entscheidung gelangt
wäre«, fügte sie hinzu.
»Und meines erst«, sagte Tom.
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50
FLETCHER SAH AUF die jubelnde Menge hinab und winkte
den Menschen begeistert zu. Er hatte an diesem Tag mehrere
Reden in Madison gehalten – an Straßenecken, auf dem
Marktplatz, vor einer Bibliothek –, aber sogar ihn überraschte
der Empfang bei seinem letzten öffentlichen Auftritt an diesem
Abend im Rathaus.
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