Die Kandidaten
Fletchers Anhängern mit Jubelrufen quittiert.
Nat
nickte
zustimmend.
Erneut
setzte
sich
die
Auszählungsmaschinerie in Gang.
Vierzig Minuten später wurden alle Stapel für korrekt
befunden, doch als die Schlacht schon beendet schien, fiel
jemandem auf, dass einer von Nats Beobachtern die Hand hoch
in die Luft streckte. Der Bürgermeister ging langsam auf ihn zu,
sein Verwaltungschef nur einen Schritt hinter ihm. Holbourn
fragte, was los sei. Der Beobachter wies auf einen
Hunderterstapel auf der Davenport-Seite des Tisches und
behauptete,
dass
einer
der
Stimmzettel
Cartwright
gutgeschrieben werden müsse.
»Tja, es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, sagte
der Bürgermeister, nahm die Stimmzettel zur Hand und die
Menge rief unisono dazu: »Eins, zwei, drei …«
Nat war das peinlich und er flüsterte Su Ling zu: »Hoffentlich
hat der Mann Recht.«
»Siebenundzwanzig, achtundzwanzig …« Fletcher sagte
nichts, als Jimmy sich dem Chor anschloss.
»Neununddreißig, vierzig, einundvierzig …« Und plötzlich
ging ein Raunen durch die Menge. Der Beobachter behielt
tatsächlich Recht, denn der zweiundvierzigste Stimmzettel trug
ein Kreuz neben dem Namen Cartwright. Der Bürgermeister,
sein Verwaltungschef, Tom und Jimmy prüften allesamt den
fraglichen Stimmzettel und kamen überein, dass man einen
Fehler gemacht habe und das Gesamtergebnis daher ein
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Gleichstand war. Tom war überrascht von Nats erster Reaktion.
»Ich frage mich, wie Dr. Renwick gestimmt hat.«
»Ich denke, er hat sich der Stimme enthalten«, flüsterte Tom.
Der Bürgermeister wirkte erschöpft und kam mit seinem
Verwaltungschef überein, dass man eine Pause einlegen sollte,
um den Stimmenzählern und allen anderen Helfern eine Stunde
Erholung zu gönnen, bevor um 14 Uhr die nächste Zählung
stattfand. Der Bürgermeister lud Fletcher und Nat ein, ihm beim
Mittagessen Gesellschaft zu leisten, aber beide Kandidaten
lehnten höflich ab, da sie nicht die Absicht hatten, den
Rathaussaal zu verlassen oder sich auch nur mehr als ein paar
Schritte vom Tisch zu entfernen, auf dem sich die Stimmzettel
stapelten.
»Was passiert, wenn es beim Gleichstand bleibt?«, hörte Nat
den Bürgermeister fragen, als er und der Verwaltungschef zum
Ausgang eilten. Da er die Antwort nicht mehr mitbekam, stellte
er Tom dieselbe Frage. Sein Stabschef hatte den Kopf bereits
tief im Wahlhandbuch des Staates Connecticut vergraben.
*
Su Ling schlich sich aus dem Sitzungssaal und schlenderte
gemächlich den Flur entlang. Sie blieb nur wenige Schritte
hinter der Gruppe um den Bürgermeister. Als sie auf einer
Eichentür in goldenen Buchstaben BIBLIOTHEK las, blieb sie
stehen. Zu ihrer Freude fand sie die Tür unverschlossen. Rasch
trat sie ein. Su Ling setzte sich hinter eines der großen
Bücherregale, lehnte sich zurück und versuchte, sich zum ersten
Mal an diesem lag zu entspannen.
»Sie also auch«, sagte eine Stimme.
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Su Ling sah auf und entdeckte Annie in der
gegenüberliegenden Ecke. Sie lächelte. »Ich hatte die Wahl –
entweder noch eine Stunde in diesem Sitzungssaal oder …«
»… oder Mittagessen mit dem Bürgermeister.«
Sie mussten beide lachen.
»Ich wünschte nur, es wäre schon gestern Abend entschieden
worden«, sagte Su Ling. »Jetzt wird sich einer von beiden den
Rest seines Lebens fragen, ob er noch ein weiteres
Einkaufszentrum hätte besuchen sollen …«
»Ich glaube, es gab kein weiteres Einkaufszentrum mehr«,
meinte Annie.
»Oder eine Schule, ein Krankenhaus, eine Fabrik oder einen
Bahnhof. Egal was.«
»Sie hätten sich darauf einigen sollen, dass jeder sechs Monate
Gouverneur sein darf und die Wähler anschließend über die
nächsten vier Jahre entscheiden sollten.«
»Ich glaube, das hätte auch nichts gebracht.«
»Vielleicht haben die Wähler ein Problem, weil sich beide so
ähnlich sind, dass man sich unmöglich zwischen ihnen
entscheiden kann.« Annie sah Su Ling wachsam an.
»Vielleicht liegt es daran, wie sehr sie sich gleichen.« Su Ling
erwiderte ihren Blick.
»Stimmt. Meine Mutter sagt oft, wie ähnlich sie sich sehen,
wenn sie im Fernsehen auftreten. Und dann der Zufall, dass sie
auch noch dieselbe Blutgruppe haben.«
»Als Mathematikerin glaube ich nicht an so viele Zufälle«,
sagte Su Ling.
»Interessant, dass Sie das sagen«, meinte Annie.
»Wenn die beiden beschlossen haben, nicht darüber zu
sprechen, nicht einmal
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