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Die Kandidaten

Die Kandidaten

Titel: Die Kandidaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Archer
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in ihrem eigenen Land mit Verachtung gestraft wurde, weil
    sie von einem Ausländer ein Kind erwartete. Und bei ihrer
    Ankunft in diesem Land war sie auch nicht willkommen. Das ist
    der Grund, warum ich so streng erzogen wurde. Wie so viele
    Einwandererkinder bin ich nicht klüger als meine Mutter, aber
    indem sie alles opferte, um mir eine erstklassige Ausbildung zu
    finanzieren, hat sie mir eine bessere Chance im Leben
    ermöglicht, als sie sie je hatte. Vielleicht verstehst du jetzt,
    warum ich immer versuche, ihre Wünsche zu respektieren.«
    »Ja, das verstehe ich«, sagte Nat, »und jetzt, da ich deine
    Mutter getroffen habe, möchte ich, dass du auch meine triffst,
    weil ich mindestens ebenso stolz auf sie bin.«
    Su Ling lachte.
    »Warum lachst du, kleine Blume?«, fragte Nat.
    »Wenn ein Mann in meinem Land die Mutter eines Mädchens
    trifft, heißt das, dass er eine Beziehung wünscht. Wenn der
    Mann das Mädchen anschließend bittet, seine Mutter kennen zu
    lernen, ist das gleichbedeutend mit einer Verlobung. Wenn er
    die Frau dann jedoch nicht heiratet, muss sie den Rest ihres
    Lebens als Blaustrumpf verbringen. Aber ich werde dieses
    Risiko eingehen, denn als du gestern gelaufen bist, hat Tom
    mich gebeten, ihn zu heiraten.«
    Nat beugte sich nach unten und küsste sie auf die Lippen, dann
    stellte er sachte seine beiden Füße auf die ihren. Su Ling
    lächelte. »Ich liebe dich auch«, sagte sie.

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    »WAS HAST DU FÜR EIN GEFÜHL?«, fragte Jimmy.
    »Keine Ahnung.« Fletcher sah zum Tisch des Staatsanwalts
    hinüber, doch in dessen Team zeigte keiner eine Gefühlsregung,
    weder ängstlich noch zuversichtlich.
    »Du könntest immer noch Professor Abrahams nach seiner
    Meinung fragen«, meinte Annie.
    »Ist er etwa noch da?«
    »Ich habe ihn vor wenigen Augenblicken im Flur auf und ab
    tigern sehen.«
    Fletcher verließ den Tisch, öffnete die niedrige Holzpforte, die
    den Gerichtssaal vom Publikumsbereich trennte, und ging rasch
    hinaus in den Flur. Er sah die breite Marmorflucht hinauf und
    hinunter, entdeckte den Professor jedoch erst, als sich die Menge
    vor der Treppe in der Rundhalle teilte und ein vornehm
    wirkender Mann zum Vorschein kam, der mit gesenktem Kopf
    in der Ecke saß und sich auf einem Block Notizen machte.
    Gerichtsbedienstete und Zuschauer eilten an ihm vorüber, ohne
    sich seiner Anwesenheit bewusst zu sein. Zögernd ging Fletcher
    auf ihn zu und sah dem alten Mann beim Schreiben zu. Er hatte
    das Gefühl, ihn nicht stören zu dürfen, also wartete er, bis der
    Professor endlich aufsah.
    »Ah, Davenport.« Abrahams klopfte neben sich auf die Bank.
    »Setzen Sie sich. Sie schauen so fragend. Wie kann ich Ihnen
    helfen?«
    Fletcher setzte sich neben ihn. »Ich wollte Sie nur fragen,
    warum die Geschworenen Ihrer Meinung nach so lange tagen.
    Sollte ich da etwas hineinlesen?«
    Der Professor sah auf die Uhr. »Etwas mehr als fünf Stunden.
    Nein, das ist für ein Kapitalverbrechen nicht sehr lange. Die

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    Geschworenen wollen einem immer das Gefühl vermitteln, dass
    sie ihre Aufgabe ernst nehmen, außer es wäre ein Routinefall,
    was hier ja ganz und gar nicht zutrifft.«
    »Haben Sie eine Vermutung, wie es ausgehen wird?«,
    erkundigte sich Fletcher besorgt.
    »Die Geschworenen kann man niemals durchschauen, Mr
    Davenport. Zwölf Menschen, die zufällig ausgewählt wurden
    und kaum etwas gemeinsam haben. Obwohl ich sagen muss,
    dass sie mir mit wenigen Ausnahmen als ein recht fairer Haufen
    vorkamen. Wie lautet nun Ihre nächste Frage?«
    »Keine Ahnung, Sir. Wie lautet denn meine nächste Frage?«
    »Was soll ich tun, wenn das Urteil gegen mich ausfällt?«
    Abrahams schwieg kurz. »Eine Eventualität, auf die Sie stets
    vorbereitet sein müssen.« Fletcher nickte. »Die Antwort? Sie
    bitten den Richter unverzüglich, Berufung einlegen zu dürfen.«
    Der Professor riss ein Blatt von dem gelben Schreibblock ab und
    reichte es seinem Schüler. »Ich hoffe, Sie halten mich nicht für
    anmaßend, aber ich habe für jede Eventualität ein paar einfache
    Stichworte vorbereitet.«
    »Auch für einen Schuldspruch?«, fragte Fletcher.
    »Es besteht kein Grund, jetzt schon so pessimistisch zu sein.
    Zuerst müssen wir die Möglichkeit bedenken, dass sich die
    Geschworenen nicht einig werden. Ich habe in der Mitte der
    zweiten Reihe eine Geschworene entdeckt, die unsere
    Mandantin kein einziges Mal ansah, während diese im
    Zeugenstand saß. Und ich habe bemerkt, dass auch Ihnen

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