Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
worüber er herrschen könnte. Es ist fast, als …« Sie hielt inne, der Gedanke war anscheinend zu ungeheuerlich. »Ich verstehe es nicht, aber wir landen bald. Ihr müsst Thot fragen.«
»Das klingt, als würdest du nicht mitkommen«, stellte ich fest.
»Thot und ich kommen nicht so gut miteinander klar. Eure Überlebenschancen sind ohne mich vermutlich besser –«
Die Anschnallzeichen leuchteten auf. Der Pilot kündigte an, dass wir uns im Landeanflug auf Memphis befanden. Ich spähte aus dem Fenster und sah einen breiten braunen Fluss, der die Landschaft durchschnitt – es war der größte Fluss, den ich je gesehen hatte. Er erinnerte mich unangenehm an eine riesige Schlange.
Als die Flugbegleiterin vorbeikam, deutete sie auf mein Tablett. »Bist du fertig?«
»Sieht so aus«, sagte ich finster.
Memphis hatte nicht mitbekommen, dass Winter war. Die Bäume waren grün und der Himmel war strahlend blau.
Dieses Mal verhinderten wir, dass Bastet sich einen Wagen »borgte«. Unter der Bedingung, dass sie ein Kabrio bekommen würde, willigte sie ein, einen Mietwagen zu nehmen. Ich fragte nicht, woher sie das Geld hatte, doch schon wenig später fuhren wir mit heruntergeklapptem Verdeck in unserem BMW durch die weitgehend menschenleeren Straßen von Memphis.
Ich erinnere mich bloß an Momentaufnahmen der Stadt. Wir fuhren durch ein Viertel, das aussah wie die Kulisse zu Vom Winde verweht – große weiße Villen, umgeben von weitläufigen Rasenflächen, die von Zypressen beschattet wurden. Nur die Plastik-Weihnachtsmänner auf den Dächern verdarben den Eindruck. Einen Block weiter brachte uns eine alte Frau in einem Cadillac fast um, als sie von einem Kirchenparkplatz fuhr. Bastet wich aus und hupte, doch die Frau lächelte bloß und winkte. Das verstehen sie wahrscheinlich unter südlicher Gastfreundschaft.
Ein paar Blocks weiter waren die Häuser nur noch heruntergekommene Bruchbuden. Zwei Afroamerikaner in Jeans und Muskelshirts saßen auf der Veranda vor ihrem Haus, klimperten auf Gitarren herum und sangen. Es klang so gut, dass ich am liebsten angehalten hätte.
An der nächsten Ecke stand ein Schnellrestaurant und ein Schild versprach: HÜHNCHEN & WAFFELN. Davor standen zwanzig Leute Schlange.
»Ihr Amis habt echt einen komischen Geschmack. Wo sind wir hier gelandet?«, fragte ich.
Carter schüttelte den Kopf. »Und wo soll Thot sein?«
Bastet schnüffelte und bog links in die Poplar Street ein, die anscheinend nach den Pappeln benannt war, die dort standen. »Wir kommen näher. Wie ich Thot kenne, ist er in einer Bildungseinrichtung. Vielleicht einer Bibliothek oder einem geheimen Bücherversteck in einem Magiergrab.«
»Davon gibt’s wahrscheinlich nicht so viele in Tennessee«, vermutete Carter.
Plötzlich entdeckte ich ein Schild und grinste breit. »Vielleicht in der University of Memphis?«
»Gut gemacht, Sadie!«, flötete Bastet.
Carter funkelte mich böse an. Tja, der arme Junge wird leicht eifersüchtig.
Ein paar Minuten später schlenderten wir über den Campus eines kleinen Colleges: rote Ziegelgebäude und große Innenhöfe. Bis auf den Widerhall eines Balles auf dem Asphalt herrschte unheimliche Stille.
Sobald Carter das Geräusch hörte, wurde er munter. »Basketball.«
»Oh, bitte«, stöhnte ich. »Wir müssen Thot finden.«
Doch Carter folgte dem Geräusch des Balls und wir folgten ihm. Er bog um die Ecke eines Gebäudes und blieb stehen. »Kommt, die können wir fragen.«
Ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte. Dann bog ich ebenfalls um die Ecke und schnappte nach Luft. Auf einem Basketballfeld waren fünf Spieler mitten in einem Spiel und es ging hoch her. Sie trugen Trikots verschiedener amerikanischer Teams und jeder schien unbedingt gewinnen zu wollen – sie grunzten und knurrten sich an, klauten sich den Ball und schubsten einander.
Ach … und alle Spieler waren Paviane.
»Das heilige Tier des Thot«, erklärte Bastet. »Wir sind hier also richtig.«
Einer der Paviane hatte glänzendes goldenes Fell, das viel heller war als das der anderen, und er hatte ein, ähm, leuchtenderes Hinterteil. Er trug ein purpurfarbenes Trikot, das mir seltsam bekannt vorkam.
»Ist das nicht … ein Lakers-Trikot?«, fragte ich zögernd.
Er nickte und wir mussten beide grinsen.
»Cheops!«, riefen wir.
Stimmt schon, wir kannten den Pavian kaum. Wir hatten weniger als einen Tag mit ihm verbracht und die Zeit in Amos’ Villa schien schon ewig her zu sein, trotzdem
Weitere Kostenlose Bücher