Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
»Aber ich kann auch nicht zulassen, dass du mich umbringst.«
Als etwas in meiner Hosentasche zappelte, fiel mir Carter wieder ein. Ich holte ihn heraus. Er sah ganz okay aus, allerdings war er noch immer eine Eidechse.
»Ich werde versuchen, dich zurückzuverwandeln«, versprach ich ihm. »Hoffentlich mach ich nicht alles noch schlimmer.«
Er gab einen Krächzlaut von sich, der nicht von großem Vertrauen zeugte.
Ich schloss die Augen und stellte mir Carter vor, wie er eigentlich aussehen sollte: ein großer vierzehnjähriger Junge, mies angezogen, sehr menschlich, sehr nervend. Die Eidechse wurde schwer in meinen Händen. Ich setzte sie auf den Boden und sah zu, wie sich das Tier in ein menschenähnliches Klümpchen verwandelte. Als ich auf drei zählte, lag mein Bruder auf dem Bauch, neben ihm auf dem Rasen waren sein Schwert und seine Tasche.
Er spuckte Gras aus. »Wie hast du das angestellt?«
»Keine Ahnung«, gab ich zu. »Du kamst mir einfach … falsch vor.«
»Vielen Dank.« Er stand auf und zählte nach, ob er noch alle Finger hatte. Dann bemerkte er die beiden Magier und ihm klappte die Kinnlade runter. »Was hast du denn mit denen gemacht?«
»Den einen hab ich kurzerhand gefesselt. Den anderen umgenietet. Magie.«
»Nein, ich meine …« Er stockte und suchte nach Worten, schließlich gab er auf und deutete mit dem Finger auf die beiden.
Ich sah zu den Magiern und schnappte nach Luft. Wayne rührte sich nicht. Sein Mund und seine Augen standen offen, allerdings blinzelte und atmete er nicht. Jerrod neben ihm wirkte genauso erstarrt. Vor unseren Augen fingen ihre Münder zu leuchten an, als hätten sie Streichhölzer verschluckt. Von ihren Lippen stiegen zwei kleine gelbe Feuerbälle auf und verschwanden im Sonnenlicht.
»Was … Was war das denn?«, fragte ich. »Sind sie tot?«
Carter ging vorsichtig auf die beiden zu und legte seine Hand auf Waynes Hals. »Es fühlt sich nicht mal wie Haut an. Eher wie Stein.«
»Nein, sie waren Menschen! Ich hab sie nicht in Stein verwandelt!«
Carter betastete die Stelle auf Jerrods Stirn, wo ich ihn mit meinem Zaubermesser getroffen hatte. »Sie ist gespalten.«
»Was?«
Carter hob sein Schwert auf. Bevor ich auch nur einen Schrei ausstoßen konnte, zielte er mit dem Heft des Schwerts auf Jerrods Gesicht. Der Kopf des Magiers zerbrach wie ein Blumentopf in tausend Scherben.
»Sie sind aus Ton«, erklärte Carter. »Es sind Uschebti.«
Er trat gegen Waynes Arm und ich hörte, wie es unter dem Zwirn knackte.
»Aber sie haben Zaubersprüche ausgesprochen«, wandte ich ein. »Und geredet. Sie waren echt.«
Die Uschebti zerfielen unter unseren Blicken zu Staub, zurück blieb nichts als mein Stück Zwirn, zwei Zauberstäbe und ein paar schmuddelige Klamotten.
»Thot hat uns auf die Probe gestellt«, meinte Carter. »Diese Feuerbälle allerdings …« Er runzelte die Stirn, als versuche er sich an etwas Wichtiges zu erinnern.
»Vielleicht war das die Magie, die sie zum Leben erweckt hat«, vermutete ich. »Vielleicht fliegt das Feuer zu seinem Meister zurück – um über alles zu berichten?«
Für mich klang das wie eine plausible Theorie, doch Carter schien sich schreckliche Sorgen zu machen. Er deutete auf die zerborstene Tür von Graceland. »Sieht das ganze Haus so aus?«
»Schlimmer.« Ich sah zu dem zerfetzten Elvis-Anzug unter Jerrods Kleiderhaufen und auf die verstreuten Strasssteine. Mag ja sein, dass Elvis keinen Geschmack hatte, trotzdem war es ein mieses Gefühl, den Palast des King in Schutt und Asche gelegt zu haben. Wenn der Ort Dad etwas bedeutet hatte … Plötzlich kam mir eine Idee. »Was hat Amos doch gleich gesagt, als er die Untertasse zusammengeflickt hat?«
Carter runzelte die Stirn. »Das ist ein ganzes Haus, Sadie. Keine Untertasse.«
»Das seh ich auch«, erwiderte ich. »Hi-nehm!«
Flackernd erwachte in meiner Handfläche eine goldene Hieroglyphe zum Leben.
Ich hielt sie in die Höhe und pustete sie Richtung Haus. Der gesamte Umriss von Graceland fing zu leuchten an. Die Bruchstücke der Tür flogen wieder an ihren Platz zurück und fügten sich zusammen. Die zerfetzten Überreste von Elvis’ Kostümen verschwanden.
»Nicht schlecht«, meinte Carter. »Meinst du, im Haus ist auch wieder alles repariert?«
»Ich –« Ich sah alles verschwommen und bekam weiche Knie. Hätte Carter mich nicht aufgefangen, wäre ich mit dem Kopf aufs Pflaster geknallt.
»Alles in Ordnung«, beruhigte er mich. »Du hast
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