Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
sagte ich. »Du musst uns erklären, was das hier bedeuten soll.«
Ich hielt ihm das Bild von der Katze und der Schlange entgegen.
»Das sind eine Katze und eine Schlange«, erklärte Thot.
»Vielen Dank, Gott der Weisheit. Du wolltest, dass wir das finden, stimmt’s? Du versuchst, uns einen Wink zu geben.«
»Wer, ich?«
Dreh ihm einfach den Hals um, schlug Horus vor.
Klappe, antwortete ich.
Dann zertrümmere wenigstens die Gitarre.
»Die Katze ist Bastet«, fuhr ich fort und versuchte den durchgeknallten Falken in mir zu überhören. »Hat es irgendwas damit zu tun, dass unsere Eltern die Götter freigesetzt haben?«
Thot deutete auf die Picknickteller. »Hab ich schon erwähnt, dass wir grillen?«
Sadie stampfte mit dem Fuß auf. »Wir hatten eine Abmachung, du ägyptisches DJ-Dings!«
»Weißt du was … die Vorstellung finde ich gar nicht übel«, sagte Thot nachdenklich. »Aus deinem Mund klingt es allerdings nicht so nett. Ich glaube, wir hatten ausgemacht, dass ich euch erkläre, wie man das Buch mit den Zauberformeln benutzt. Darf ich?«
Er streckte die Hand aus. Zögernd holte ich das Zauberbuch aus meiner Tasche und reichte es ihm.
Thot faltete die Bogen auf. »Ach, das erinnert mich an ganz viele Sachen. So viele Formeln. In alten Zeiten glaubten wir an Rituale. Manchmal dauerte es Wochen, bis man einen guten Zauberspruch mit exotischen Zutaten aus der ganzen Welt vorbereitet hatte.«
»Wir haben aber nicht wochenlang Zeit«, wandte ich ein.
»Eile, Eile, Eile«, seufzte Thot.
»Agh!« , pflichtete Cheops bei und schnüffelte an der Gitarre.
Thot klappte das Buch zu und gab es mir zurück. »Also, es ist ein magischer Sprechgesang, der Seth vernichten wird.«
»Das wissen wir bereits«, erwiderte Sadie. »Aber wird das für immer sein?«
»Nein, nein. Aber seine Gestalt in dieser Welt wird verschwinden, er wird tief in die Duat verbannt und seine Macht geschwächt, so dass er lange, lange Zeit nicht wiederkommen kann. Mit großer Wahrscheinlichkeit Jahrhunderte.«
»Klingt gut«, sagte ich. »Wie liest man es?«
Thot starrte mich an, als läge die Antwort auf der Hand. »Ihr könnt es jetzt nicht lesen, weil die Wörter nur in Seths Anwesenheit ausgesprochen werden dürfen. Sobald sie vor ihm steht, sollte Sadie das Buch öffnen und den Sprechgesang anstimmen. Wenn es so weit ist, wird sie wissen, was sie tun muss.«
»Genau«, sagte Sadie. »Seth wird einfach ruhig dastehen, während ich ihn zu Tode singe.«
Thot zuckte die Achseln. »Ich habe nicht behauptet, dass es einfach wird. Damit die Zauberformel funktioniert, brauchst du zwei weitere Zutaten – Wörterzutaten. Seths geheimen Namen –«
»Was?«, protestierte ich. »Wo sollen wir den denn herkriegen?«
»Das kann allerdings schwierig werden. Einen geheimen Namen liest man nicht einfach aus einem Buch ab. Wenn er dir Macht über denjenigen verleihen soll, muss der Name von den Lippen des Trägers kommen, in seinem Tonfall.«
»Na toll«, entgegnete ich. »Dann zwingen wir Seth einfach dazu?«
»Oder ihr legt ihn herein«, schlug Thot vor. »Oder überredet ihn.«
»Gibt es denn keine andere Methode?«, wollte Sadie wissen.
Thot wischte einen Tintenfleck von seinem Laborkittel. Daraufhin verwandelte sich eine Hieroglyphe in eine Motte und flatterte davon. »Vermutlich … ja. Ihr könntet die Person fragen, die Seth am nächsten steht – die Person, die ihn am meisten liebt. Sie kann seinen Namen ebenfalls aussprechen.«
»Aber niemand liebt Seth!«, wandte Sadie ein.
»Seine Frau«, vermutete ich. »Diese andere Göttin, Nephthys.«
Thot nickte. »Sie ist eine Flussgottheit. Vielleicht findet ihr sie in einem Fluss.«
»Das wird ja immer besser«, murmelte ich.
Sadie musterte Thot stirnrunzelnd. »Du hast noch eine zweite Zutat erwähnt.«
»Das ist etwas Greifbares«, sagte Thot. »Eine Feder der Wahrheit.«
»Eine was?«, fragte Sadie.
Doch ich wusste, was er meinte, und mich verließ der Mut. »Du meinst aus dem Land der Toten.«
Thot strahlte. »Haargenau.«
»Moment«, unterbrach Sadie. »Wovon redet er da?«
Ich versuchte meine Angst zu überspielen. »Wenn man im Alten Ägypten starb, musste man eine Reise ins Land der Toten unternehmen«, erklärte ich. »Eine wirklich gefährliche Reise. Am Ende kam man in die Halle der beiden Wahrheiten, wo das Leben auf der Waage des Anubis gewogen wurde: das Herz auf der einen Seite, die Feder der Wahrheit auf der anderen Seite. Wenn man den Test
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