Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
Mantel blähte sich auf und erhob sich vor mir in die Luft. Er klopfte sich ab und stellte den Kragen auf. Falls Mäntel empört aussehen können – dieser hier war es hundertprozentig.
Sadie beäugte mich misstrauisch. »Kann er ohne Füße die Pedale eines Lasters durchtreten?«
»Sollte kein Problem sein«, beruhigte sie Zia. »Der Mantel ist schön lang.«
Ich seufzte erleichtert auf. Einen Moment lang hatte ich befürchtet, ich müsste auch noch meine Hosen zum Leben erwecken. Das hätte peinlich werden können.
»Fahr uns nach Phoenix«, befahl ich dem Mantel.
Der Mantel machte eine unhöfliche Geste in meine Richtung – zumindest wäre sie unhöflich gewesen, wenn der Mantel Hände gehabt hätte. Danach schwebte er auf den Fahrersitz.
Das Führerhaus war größer, als ich gedacht hatte. Hinter dem Sitz war eine durch einen Vorhang abgetrennte Ecke mit einem richtigen Bett, das Sadie sofort in Beschlag nahm.
»Du kannst dir mit Zia ein paar schöne Stunden machen«, erklärte sie. »Nur ihr zwei und dein Mantel.«
Bevor ich ihr eine knallen konnte, duckte sie sich in die Nische.
Der Mantel fuhr uns auf dem Interstate 10 nach Westen, als plötzlich dunkle Wolken die Sterne verschluckten. Die Luft roch nach Regen.
Nach einer ganzen Weile räusperte sich Zia. »Carter, es tut mir leid wegen … Na ja, ich wollte, die Umstände wären anders.«
»Ja«, erwiderte ich. »Vermutlich kriegst du eine Menge Ärger mit dem Lebenshaus.«
»Man wird mich ausschließen«, sagte sie. »Meinen Zauberstab zerbrechen. Mein Name wird aus den Büchern gelöscht. Ich werde ins Exil geschickt, vorausgesetzt, sie bringen mich nicht um.«
Ich dachte an Zias kleinen Schrein im Ersten Nomos – all die Bilder von ihrem Dorf und ihrer Familie, an die sie sich nicht mehr erinnerte. Als sie davon sprach, dass man sie ins Exil schicken würde, hatte sie denselben Gesichtsausdruck wie damals: weder Bedauern noch Traurigkeit, eher Verwirrung, als könne sie selbst nicht verstehen, warum sie sich auflehnte oder was der Erste Nomos ihr bedeutet hatte. Sie hatte gesagt, dass Iskander ihre einzige Familie gewesen war. Nun hatte sie niemanden mehr.
»Du könntest mit uns kommen«, schlug ich vor.
Sie sah zu mir herüber. Wir saßen eng nebeneinander und mir war sehr bewusst, dass ihre Schulter gegen meine drückte. Selbst durch den Gestank der verbrannten Chilischoten hindurch konnte ich ihr ägyptisches Parfüm riechen. In ihrem Haar hing eine getrocknete Chili, was sie irgendwie noch süßer aussehen ließ.
Sadie behauptet, ich wäre total konfus. [Mensch, Sadie, wenn du erzählst, unterbrech ich dich auch nicht laufend.]
Wie dem auch sei, Zia schaute mich jedenfalls traurig an. »Wo sollten wir hin, Carter? Selbst wenn ihr Seth schlagt und diesen Kontinent rettet, was werdet ihr tun? Das Haus wird euch jagen. Die Götter werden euch das Leben zur Hölle machen.«
»Uns fällt schon was ein«, versprach ich. »Ich bin es gewohnt zu reisen. Ich kann gut improvisieren und Sadie ist nicht immer nur fies.«
»Das hab ich gehört!« Durch den Vorhang war Sadies gedämpfte Stimme zu hören.
»Und mit dir«, fuhr ich fort, »also, mit deinen magischen Fähigkeiten wäre alles viel einfacher.«
Zia drückte meine Hand und es fuhr mir wie ein elektrischer Schlag durch den Arm. »Du bist nett, Carter. Aber du kennst mich nicht. Nicht richtig. Wahrscheinlich hat Iskander das vorhergesehen.«
»Was meinst du damit?«
Zia zog ihre Hand weg, was ich ziemlich schade fand. »Als Desjardins und ich aus dem British Museum zurückkamen, hat Iskander unter vier Augen mit mir geredet. Er hat mich gewarnt, dass ich in Gefahr bin. Er sagte, er würde mich an einen sicheren Ort bringen und …« Sie kniff die Augenbrauen zusammen. »Das ist merkwürdig. Ich kann mich nicht mehr erinnern.«
Mich überlief ein kalter Schauer. »Moment mal, hat er dich an einen sicheren Ort gebracht?«
»Ich … Ich glaube, ja.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ja nicht sein. Ich bin immer noch hier. Vielleicht hatte er keine Zeit mehr. Er hat mich fast sofort danach nach New York geschickt, um euch zu suchen.«
Draußen begann es zu tröpfeln. Der Mantel schaltete die Scheibenwischer an.
Zias Erzählung ergab keinen Sinn. Vielleicht hatte Iskander eine Veränderung in Desjardins gespürt und deswegen versucht, seine Lieblingsschülerin zu schützen. Aber an der Geschichte stimmte noch etwas nicht – etwas, das ich nicht genau benennen
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