Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
wurden. Wie eine Kettenreaktion –«
»Zia!«, schnauzte Desjardins sie an. »Diese Information sollte vertraulich bleiben.«
»Sehen Sie, Lord«, sagte ich, »Sir, was auch immer – genau davor hat uns Bastet gewarnt. Sie sagte, Seth würde noch mehr Götter freisetzen.«
»Meister«, bat Zia, »wenn Maat schwächer wird und Seth das Chaos vergrößert, könnte das der Grund sein, warum ich Selket nicht vertreiben konnte.«
»Albern«, entgegnete Desjardins. »Du bist eine gute Magierin, Zia, aber für diese Begegnung warst du vielleicht nicht gut genug. Und was die beiden hier anbelangt: Die Verunreinigung muss eingedämmt werden.«
Zia wurde rot. Sie wandte sich wieder an Iskander. »Meister, bitte. Lasst es mich mit ihnen versuchen.«
»Was glaubst du, wer du bist?«, fuhr Desjardins sie an. »Die beiden sind schuldig und müssen getötet werden.«
Mir schnürte es die Kehle zu. Ich sah zu Sadie. Falls wir den langen Gang hinunterrennen mussten, um zu entkommen, sah es finster für uns aus …
Schließlich sah der alte Mann auf. Er lächelte Zia mit ehrlicher Zuneigung an. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob sie seine Urururenkelin oder so etwas war. Er sprach griechisch und Zia machte eine tiefe Verbeugung.
Desjardins sah aus, als würde er jeden Moment in die Luft gehen. Er hob sein Gewand leicht an und marschierte hinter den Thron.
»Der Oberste Vorlesepriester gestattet Zia, euch auf die Probe zu stellen«, knurrte er. »In der Zwischenzeit werde ich versuchen, die Wahrheit – oder die Lügen – in eurer Geschichte herauszufinden. Für die Lügen werdet ihr bestraft werden.«
Ich drehte mich zu Iskander und ahmte Zias Verbeugung nach. Sadie folgte meinem Beispiel.
»Danke, Meister«, sagte ich.
Der alte Mann musterte mich eine ganze Weile. Wieder hatte ich das Gefühl, er wollte sich in meine Seele brennen – aber nicht auf aggressive Art. Eher besorgt. Dann murmelte er etwas und ich verstand zwei Worte: Nektanebos und Ba.
Als er seine Hand öffnete, strömten zahllose leuchtende Hieroglyphen heraus und umschwärmten das Podium. Es folgte ein greller Blitz, und als ich wieder etwas erkennen konnte, war das Podium leer. Die beiden Männer waren verschwunden.
Zia drehte sich mit grimmigem Gesichtsausdruck zu uns. »Ich werde euch eure Unterkunft zeigen. Morgen früh beginnt eure Überprüfung. Dann werden wir erfahren, wie es um eure Zauberkunst bestellt ist und woher ihr sie habt.«
Ich war mir nicht sicher, was sie damit meinte, aber Sadie und ich sahen uns mit einem mulmigen Gefühl an.
»Klingt nach Spaß«, meinte Sadie vorsichtig. »Und wenn wir in diesem Test durchfallen?«
Zia musterte sie kalt. »Das ist nicht die Art Test, bei der man durchfallen kann, Sadie Kane. Man besteht ihn oder man stirbt.«
SADIE
15.
Eine göttliche Geburtstagsfeier
Carter wurde in einen anderen Schlafsaal gebracht, deshalb weiß ich nicht, wie er schlief. Ich tat jedenfalls kein Auge zu.
Schon nach Zias Bemerkungen, dass wir unsere Prüfungen entweder bestehen würden oder sterben, wäre es mir schwergefallen, außerdem war der Mädchenschlafsaal nicht annähernd so feudal wie die Villa von Amos. Die Steinwände schwitzten Feuchtigkeit aus. Im Licht der Fackeln tanzten gruselige Bilder von ägyptischen Ungeheuern über die Decke. Man wies mir eine schwebende Liege zu. Die anderen Mädchen, die ausgebildet wurden – Initianden nannte Zia sie –, waren wesentlich jünger als ich, und als die alte Schlafsaalaufseherin ihnen befahl, auf der Stelle schlafen zu gehen, gehorchten sie tatsächlich. Die Aufseherin fuchtelte mit der Hand und die Fackeln erloschen. Als sie die Tür hinter sich schloss, konnte ich hören, wie Schlösser zuschnappten.
Bezaubernd. Ich war im Kerker der Vorschule eingesperrt.
Ich starrte in die Dunkelheit, bis ich die anderen Mädchen schnarchen hörte. Mir ging nur eines durch den Kopf: ein drängender Gedanke, den ich nicht einfach abschütteln konnte. Schließlich kroch ich aus dem Bett und zog meine Stiefel an.
Ich tastete mich zur Tür. Ich rüttelte an der Klinke. Abgeschlossen, wie ich vermutet hatte. Ich wollte schon dagegentreten, doch dann fiel mir ein, was Zia in der Besenkammer auf dem Flughafen in Kairo gemacht hatte.
Ich presste meine Hand gegen die Tür und flüsterte: »Sahad.«
Schlösser klickten. Die Tür öffnete sich. Praktischer Trick.
Draußen waren die Flure dunkel und verlassen. Im Ersten Nomos tobte nicht gerade das Nachtleben. Ich
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