Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
Regen meine Kleider durchweicht. Hätte Sadie nichts gesagt, hätte ich vielleicht noch eine Weile alles leugnen können. Aber ich dachte an Amos’ Worte über die lange Geschichte, die unsere Familie mit den Göttern verband. Ich dachte an das, was Zia uns über unsere Vorfahren erzählt hatte: Die Götter wählen ihre Gastkörper sorgfältig aus. Sie bevorzugen immer Abkömmlinge der Pharaonen.
»Gut«, räumte ich ein. »Ich habe auch eine Stimme gehört. Also drehen wir entweder allmählich beide durch –«
»Das Amulett.« Sadie zog es unter ihrem Hemd hervor und hielt es Bastet hin. »Es ist das Symbol einer Göttin, oder?«
Ich hatte ihr Amulett lange nicht gesehen. Es war anders als meines. Es erinnerte mich an ein Anch oder vielleicht an eine extravagante Krawatte.
»Das ist ein Tit- Amulett«, erklärte Bastet. »Ein magischer Knoten. Viele bezeichnen ihn auch als –«
»Isisknoten«, beendete Sadie den Satz. Ich hatte keine Ahnung, woher sie das wusste, aber sie schien völlig überzeugt. »Im Gang der Zeitalter hab ich dieses Bild von Isis gesehen und dann war ich Isis und musste vor Seth fliehen und – oh Gott. Das ist es, oder? Ich bin sie.«
Sie zerrte an ihrem Hemd, als wollte sie die Göttin aus ihrem Körper herauszerren. Ich konnte sie bloß anstarren. Meine Schwester mit ihren fettigen rot gesträhnten Haaren und ihrem Leinenschlafanzug und Springerstiefeln – wie kam sie bloß darauf, dass eine Göttin von ihr Besitz ergriffen hatte? Welche Göttin – außer vielleicht der Kaugummigöttin – würde sich ausgerechnet Sadie aussuchen?
Andererseits … ich hatte auch eine Stimme in mir gehört. Eine Stimme, die hundertprozentig nicht meine war. Ich sah auf mein Amulett, das Horusauge. Ich dachte an die Mythen, die ich kannte – wie Horus, der Sohn des Osiris, seinen Vater rächen musste, indem er Seth besiegte. In Luxor hatte ich einen Schutzavatar mit einem Falkenkopf herbeigerufen.
Obwohl ich Angst davor hatte, fragte ich in Gedanken: Horus?
Wird aber auch Zeit , antwortete die andere Stimme. Hallo, Carter .
»Oh nein«, erwiderte ich und geriet in Panik. »Nein, nein, nein. Ich brauche einen Dosenöffner. In meinem Kopf sitzt ein Gott.«
Bastets Augen leuchteten auf. »Hast du direkt mit Horus kommuniziert? Das ist ein toller Fortschritt!«
»Fortschritt?« Ich schlug mir mit der Handfläche gegen die Stirn. »Sorg dafür, dass er verschwindet!«
Reg dich ab , meinte Horus.
»Erzähl mir nicht, dass ich mich abregen soll!«
Bastet runzelte die Stirn. »Hab ich nicht.«
»Ich rede mit ihm!« Ich zeigte auf meine Stirn.
»Das ist schrecklich«, jammerte Sadie. »Wie werde ich sie los?«
Bastet holte Luft. »Erstens hast du nicht alles von ihr, Sadie. Götter sind sehr mächtig. Wir können an mehreren Orten gleichzeitig sein. Aber es stimmt, ein Teil von Isis’ Geist wohnt jetzt in dir. Genau wie Carter nun den Geist von Horus in sich trägt. Und ehrlich gesagt solltet ihr euch beide geehrt fühlen.«
»Klar, und wie«, erwiderte ich. »Ich wollte schon immer mal besessen sein!«
Bastet verdrehte die Augen. »Bitte, Carter, damit hat es nichts zu tun. Außerdem wollen Horus und du dasselbe – Seth besiegen, so wie es Horus vor Jahrtausenden getan hat, als Seth Osiris zum ersten Mal getötet hat. Wenn du es nicht tust, ist dein Vater verloren und Seth wird der König der Welt.«
Ich warf Sadie einen Blick zu, aber sie war keine Hilfe. Sie riss sich das Amulett vom Hals und schleuderte es auf den Boden. »Isis ist durch das Amulett in mich eingedrungen, stimmt’s? Gut, ich werde einfach –«
»Das würde ich wirklich nicht tun«, warnte Bastet.
Doch Sadie zog ihr Zaubermesser hervor und schlug damit auf das Amulett ein. Von dem Elfenbeinbumerang stoben blaue Funken auf. Sadie schrie auf und ließ das Zaubermesser fallen, das nun qualmte. Auf ihrer Hand waren schwarze Schmauchspuren zu sehen. Das Amulett war unversehrt. »Autsch!«, rief sie.
Bastet seufzte. Sie legte ihre Hand auf Sadies und die Verbrennungsspuren verschwanden. »Ich habe es dir doch gesagt. Isis hat zwar ihre Macht durch dieses Amulett geleitet, das stimmt schon, doch jetzt ist sie nicht mehr darin. Sie ist in dir . Außerdem sind magische Amulette so gut wie unzerstörbar.«
»Und was sollen wir jetzt tun?«, fragte Sadie.
»Als Erstes«, antwortete Bastet, »muss Carter die Macht von Horus nutzen, um Seth zu besiegen.«
»Ach, das ist alles?«, fragte ich. »Ich ganz
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