Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
diesem Getümmel las Sadie aus der Sonnenlitanei. Es war mir schleierhaft, wie sie sich darauf konzentrieren konnte, doch ihre Worte erklangen klar und deutlich. Sie beschwor die Morgendämmerung herauf und den Beginn eines neuen Tages. Rings um ihre Füße breitete sich goldener Nebel aus und schlängelte sich durch die vertrockneten Panzer, als suche er nach Leben. Der ganze Strand erbebte und aus der Tiefe brüllte Apophis wutentbrannt.
»Oh, neinneinnein!«, schrie Re hinter mir. »Kein Brot!«
Als ich mich umdrehte, sah ich, wie einer der größten Dämonen an Bord der Sonnenbarke ging, er hatte fiese Messer an allen vier Händen. Re machte mit den Lippen ein furzendes Geräusch und flitzte davon, um sich hinter seinem glutroten Thron zu verstecken.
Ich warf Rasierklingenkopf in eine Horde seiner Kumpels, schnappte mir von einem anderen Dämon einen Speer und schleuderte ihn in Richtung des Bootes.
Hätte bloß ich den Speer geworfen, hätte ich auf Grund meiner völligen Unfähigkeit im Weitwurf vermutlich den Sonnengott selbst durchbohrt, was ziemlich peinlich gewesen wäre. Glücklicherweise verfügte meine Riesengestalt jedoch über eine Treffsicherheit, die Horus’ würdig war. Der Speer traf den vierarmigen Dämon mitten in den Rücken. Er ließ seine Messer fallen, taumelte zum Bootsrand und stürzte in den Fluss der Nacht.
Um noch eins draufzusetzen, beugte sich Re über die Reling und wiederholte das Furzgeräusch.
Desjardins’ Tornado wirbelte immer noch und schloss ihn im Kampf gegen Menschikow ein. Es ließ sich schwer sagen, welcher Magier gerade die Oberhand hatte. Sadies Riesenvogel gab sein Bestes, um sie zu schützen, durchbohrte Dämonen mit seinem Schnabel und zerquetschte sie unter seinen Riesenklauen. Irgendwie schaffte es Sadie, ihre Konzentration aufrechtzuerhalten. Der Goldnebel wurde immer dichter, während er sich über den Strand legte.
Als Sadie die letzten Worte ihres Zauberspruchs aufsagte, traten die übrig gebliebenen Dämonen den Rückzug an. »›Chepre, der Skarabäus, der sich aus dem Tod erhebt, die Wiedergeburt Res!‹«
Die Sonnenlitanei verschwand in einem Blitz. Der Boden rumpelte und aus der Masse toter Panzer erhob sich ein vereinzelter Skarabäus in die Luft, ein lebendiger goldener Käfer, der auf Sadie zuschwebte und sich auf ihrer Hand niederließ.
Sadie lächelte triumphierend. Fast wagte ich zu hoffen, dass wir gewonnen hatten. Doch plötzlich erfüllte zischendes Gelächter die Höhle. Desjardins verlor die Kontrolle über seinen Wirbelwind und kurz darauf flog der Oberste Vorlesepriester in hohem Bogen Richtung Sonnenbarke, wo er so hart auf den Bug klatschte, dass die Reling zerbrach. Dann blieb er völlig regungslos liegen.
Wladimir Menschikow plumpste in Hockstellung auf den Boden. Rings um seine Füße lösten sich die Skarabäenpanzer auf und verwandelten sich in blutroten Sand.
»Hervorragend«, sagte er. »Hervorragend, Sadie Kane!«
Als er aufstand, schien die ganze magische Energie der Höhle auf seinen Körper zuzurasen. Goldener Nebel, rotes Licht, leuchtende Hieroglyphen – alles stürzte auf Menschikow ein, als hätte er die Schwerkraft eines schwarzen Loches angenommen.
Seine zerstörten Augen heilten. Sein blasenbedecktes Gesicht wurde glatt, jung und attraktiv. Sein weißer Anzug flickte sich von selbst, der Stoff färbte sich dunkelrot. Seine Haut kräuselte sich und mit Schaudern wurde mir klar, dass ihm Schlangenschuppen wuchsen.
Auf der Sonnenbarke murmelte Re: »Oh, neinneinnein. Brauche Zebras.«
Der ganze Strand verwandelte sich in roten Sand.
Menschikow streckte Sadie die Hand entgegen. »Gib mir den Skarabäus. Ich werde Erbarmen mit dir haben. Ich lasse dich und deinen Bruder am Leben. Auch Walt wird leben.«
Sadie umklammerte den Skarabäus. Ich machte mich zum Angriff bereit. Doch selbst im Körper eines riesigen Falkenkriegers konnte ich spüren, wie die Chaosenergie immer stärker wurde und meine Kraft schwächte. Menschikow hatte uns gewarnt, dass kein Sterblicher diese Höhle überlebte, und das glaubte ich ihm aufs Wort. Uns blieb nicht viel Zeit, aber wir mussten Apophis aufhalten. Im Hinterkopf akzeptierte ich die Tatsache, dass ich sterben würde. Ich handelte zum Wohl unserer Freunde, für die Familie Kane und die ganze Menschenwelt.
»Du willst den Skarabäus, Apophis?« Sadies Stimme war voller Abscheu. »Dann komm und hol ihn dir, du widerlicher –« Sie betitelte Apophis mit ein paar derartig
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