Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
glücklich, als könne er es nicht erwarten, braven kleinen Kindern Eis zu verkaufen.
Er ging auf Desjardins zu, der noch immer auf die Lichtvorhänge starrte. Der Eisverkäufer folgte seinem Blick und nun wurde auch mir klar, was der Oberste Vorlesepriester betrachtete. An der letzten Säule, direkt neben dem Thron, verdunkelte sich das Licht. Der rötliche Farbton der Jetztzeit veränderte sich zu violett, der Farbe von Blutergüssen. Bei meinem ersten Besuch im Gang der Zeitalter hatte man mir erzählt, dass der Gang mit jedem Jahr länger wurde, und jetzt konnte ich zusehen, wie es passierte. Der Boden und die Wände schlugen wie eine Fata Morgana leichte Wellen, dehnten sich unmerklich aus, der Streifen violetten Lichts wurde immer breiter.
»Ah«, sagte der Eisverkäufer. »Jetzt erkennt man es viel deutlicher.«
»Ein neues Zeitalter«, murmelte Desjardins. »Ein dunkleres Zeitalter. Die Farbe des Lichts hat sich tausend Jahre lang nicht verändert, Wladimir.«
Ein bösartiger Eisverkäufer namens Wladimir? Nun gut.
»Es liegt natürlich an den Kanes«, erklärte Wladimir. »Ihr hättet den Alten umbringen sollen, solange es in Eurer Macht stand.«
Die Federn meines Bas stellten sich auf. Mir wurde bewusst, dass er Onkel Amos meinte.
»Nein«, erwiderte Desjardins. »Er stand unter unserem Schutz. Jedem Heilung Suchenden muss Zuflucht gewährt werden – selbst wenn er ein Kane ist.«
Wladimir holte tief Luft, was wie ein verstopfter Inhalator klang. »Aber jetzt, wo er weg ist, müssen wir auf jeden Fall etwas unternehmen. Ihr habt die Neuigkeiten aus Brooklyn gehört, mein Gebieter. Die Kinder haben die erste Schriftrolle gefunden. Wenn sie die beiden anderen finden –«
»Ich weiß, Wladimir.«
»Sie haben das Lebenshaus in Arizona gedemütigt. Statt ihn zu vernichten, haben sie mit Seth Frieden geschlossen. Und nun suchen sie die Sonnenlitanei. Wenn Ihr mir gestatten würdet, mich um sie zu kümmern –«
Aus der Spitze von Desjardins’ Zauberstab explodierte violettes Feuer. »Wer ist der Oberste Vorlesepriester?«, fragte er.
Wladimirs freundlicher Gesichtsausdruck verschwand. »Ihr natürlich, mein Gebieter.«
»Und wenn die Zeit reif ist, werde ich mich um die Kanes kümmern, doch momentan ist Apophis die größere Bedrohung. Wir müssen all unsere Kraft darauf verwenden, die Schlange unter Kontrolle zu halten. Wenn es irgendeine Chance gibt, dass die Kanes helfen können, die Ordnung wiederherzustellen –«
»Aber Oberster Vorlesepriester«, unterbrach Wladimir. Sein Ton war nun heftig – es lag fast eine magische Kraft darin. »Die Kanes sind Teil des Problems. Sie haben die Ordnung Maats durcheinandergebracht, indem sie die Götter zum Leben erweckt haben. Sie lehren verbotene Magie. Nun wollen sie Re wieder einsetzen, der seit den Anfängen Ägyptens nicht mehr regiert hat! Sie werden die Welt in Unordnung stürzen, was nur dem Chaos nützen wird.«
Desjardins blinzelte, als sei er verwirrt. »Vielleicht hast du Recht. Ich … ich muss darüber nachdenken.«
Wladimir verbeugte sich. »Wie Ihr wünscht, mein Gebieter. Ich werde unsere Truppen sammeln und Euren Befehl zur Zerstörung des Brooklyn House abwarten.«
»Zerstören …« Desjardins runzelte die Stirn. »Ja, du wirst meine Befehle abwarten. Ich werde die Zeit des Angriffs bestimmen, Wladimir.«
»Sehr wohl, mein Gebieter. Und wenn die Kane-Kinder die beiden anderen Schriftrollen suchen, um Re zum Leben zu erwecken? Eine ist natürlich außerhalb ihrer Reichweite, aber die andere –«
»Das überlasse ich dir. Bewache sie, wie du es für das Beste hältst.«
Wladimirs Augen waren, wenn er aufgeregt war, sogar noch entsetzlicher – unter den zerstörten Lidern wirkten sie schleimig und feucht. Sie erinnerten mich an Gramps’ Lieblingsfrühstück: weichgekochte Eier mit Tabascosoße.
[Tja, tut mir leid, wenn das widerlich ist, Carter. Du brauchst ja nicht zu essen, während ich erzähle!]
»Mein Gebieter ist weise«, erklärte Wladimir. »Die Kinder werden die Schriftrollen suchen, mein Gebieter. Sie haben keine andere Wahl. Falls sie ihre Festung verlassen und in mein Territorium eindringen –«
»Habe ich nicht gerade gesagt, dass wir sie beseitigen werden?«, fragte Desjardins tonlos. »Nun geh. Ich muss nachdenken.«
Wladimir verschwand im Dunkeln. Für jemanden, der weiß gekleidet war, gelang ihm das ziemlich gut.
Desjardins wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem schimmernden Lichtvorhang zu.
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