Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
allmählich besser.
Namen enthielten Macht. Wenn mir der Name meiner Gegnerin einfiel, war das ein guter erster Schritt, um sie zu besiegen. Ein scheußlicher schwarzer Vogel … Ein Vogel, der Tote frisst …
Erstaunlicherweise erinnerte ich mich tatsächlich an etwas.
»Du bist die Geiergöttin«, erklärte ich triumphierend. »Nechbiest, richtig?«
Die alte Hexe knurrte. »Nechbet!«
Sehr schön, ich war also nahe dran.
»Aber du bist doch eigentlich eine gute Göttin!«, protestierte ich.
Die Göttin breitete die Arme aus. Sie verwandelten sich in Schwingen – schwarzes verfilztes Gefieder, in dem Fliegen surrten und das nach Tod stank. »Geier sind in der Tat sehr gut, Sadie Kane. Wir beseitigen die Kranken und Schwachen. Wir umkreisen sie, bis sie sterben, dann machen wir uns über ihre Reste her und säubern die Welt von ihrem Gestank. Du hingegen willst Re zurückbringen, diesen verschrumpelten alten Kadaver von einem Sonnengott. Du würdest einen schwachen Pharao auf den Thron der Götter setzen. Das ist gegen die Natur! Nur die Starken sollen leben! Die Toten sollen gefressen werden.«
Ihr Atem stank wie überfahrene Tiere.
Geier sind verabscheuungswürdige Geschöpfe, ohne jeden Zweifel die absolut widerlichsten Vögel. Vermutlich hatten sie auch ihre Daseinsberechtigung, aber mussten sie so schmierig und abstoßend sein? Warum konnten nicht stattdessen putzige flauschige Kaninchen die überfahrenen Tiere entsorgen?
»Genau«, erwiderte ich. »Als Erstes, raus aus meiner Gran. Und wenn du dich wie ein artiger Geier benimmst, kauf ich dir auch Pfefferminzbonbons.«
Das traf offenbar einen wunden Punkt. Sie stürzte sich auf mich. Ich sprang zur Seite und kletterte über die Couch, die dabei umkippte. Nechbet fegte Grans Porzellansammlung von der Anrichte.
»Du wirst sterben, Sadie Kane!«, rief sie. »Ich werde deine Knochen fein säuberlich abnagen. Dann werden die anderen Götter erkennen, dass du unwürdig warst!«
Ich wartete auf die nächste Attacke, doch sie starrte mich von der anderen Seite des Sofas nur böse an. Mir fiel ein, dass Geier normalerweise nicht töten. Sie warten darauf, dass ihre Beute stirbt.
Nechbets Schwingen füllten den Raum. Ihr Schatten hüllte mich in Dunkelheit. Ich saß in der Falle, hilflos wie ein kleines schwaches Tier.
Hätte ich meinen Willen nicht schon früher gegen Götter ausgetestet, hätte ich dies vielleicht nicht als Zauberei erkannt – dieses hartnäckige Genörgel in meinem Hinterkopf, das mich drängte, einfach aufzugeben. Doch ich hatte mich schon gegen alle möglichen grässlichen Götter der Unterwelt gewehrt, da würde ich doch mit einem schmierigen alten Vogel fertigwerden.
»Netter Versuch«, erklärte ich. »Aber ich werde mich nicht hinlegen und sterben.«
Nechbets Augen funkelten. »Vielleicht dauert es eine Weile, meine Liebe, aber wie ich dir schon sagte: Ich habe Geduld. Falls du nicht nachgibst, werden deine Menschenfreundinnen bald hier sein. Wie heißen sie doch gleich – Liz und Emma?«
»Lass meine Freundinnen aus dem Spiel!«
»Ach, die werden leckere Appetithäppchen abgeben. Und du hast deinem lieben alten Gramps noch nicht mal Guten Tag gesagt.«
Mir rauschte das Blut in den Ohren. »Wo ist er?«, fragte ich.
Nechbet warf einen Blick an die Decke. »Oh, er kommt bestimmt gleich. Weißt du, wir Geier fliegen gern einem schönen großen Raubtier hinterher und überlassen ihm das Töten.«
Von oben war ein gedämpftes Krachen zu hören – als hätte jemand ein großes Möbelstück aus dem Fenster geworfen.
Gramps brüllte: »Nein! Nee-ii-ii-n!« Dann verwandelte sich die Stimme in das Brüllen eines wütenden Tieres. » N - EEEE - HHH - EEE - IIIII -N!«
Mir rutschte der letzte Rest meines Mutes in die Springerstiefel. »Ww-waaas –?«
»Ja«, sagte Nechbet. »Babi wacht auf.«
»B-bobby? Es gibt einen Gott namens Bobby bei euch?«
»B-A-B-I«, knurrte die Geiergöttin. »Du bist echt keine Leuchte, oder, Schätzchen?«
Der Putz an der Decke zeigte Risse unter dem Gewicht schwerer Schritte. Etwas stapfte Richtung Treppenhaus.
»Babi wird sich um dich kümmern«, versprach Nechbet, »und für mich wird noch eine Menge übrig bleiben.«
»Tschüs dann«, sagte ich und stürmte zur Tür.
Nechbet unternahm keinen Versuch, mich aufzuhalten. Sie kreischte hinter mir: »Eine Jagd! Wunderbar!«
Ich hatte es gerade aus dem Haus und über die Straße geschafft, als die Eingangstür barst. Als ich einen Blick
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