Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
auf. Ein paar Jogger auf einem Pfad in der Nähe beachteten uns überhaupt nicht, anscheinend sahen sie jeden Tag Mercedeslimousinen querfeldein durch den Park brettern.
»Wo wollen wir denn hin?«, fragte ich.
»Schau zu und pass gut auf, Kleiner«, lautete Bes’ Antwort.
Dass mich ein Typ, der kleiner war als ich, dauernd »Kleiner« nannte, nervte ein bisschen, aber ich hielt den Mund. Bes fuhr geradewegs den Hügel hinauf. In der Nähe der Hügelkuppe befand sich eine ungefähr zehn Meter breite Steintreppe, die nirgendwohin zu führen schien. Bes trat auf die Bremse und wir kamen schlingernd zum Stehen. Der Hügel war höher, als ich gedacht hatte. Ganz London lag unter uns.
Ich betrachtete die Treppe genauer. Zwei Sphingen aus verwittertem Stein flankierten sie links und rechts und wachten über die Stadt. Jeder Sphinx war ungefähr drei Meter lang und hatte den typischen Löwenkörper und den Pharaonenkopf; in einem Londoner Park wirkten sie allerdings völlig fehl am Platz.
»Die sind nicht echt«, sagte ich.
Bes schnaubte. »Natürlich sind sie echt.«
»Ich meinte, sie sind nicht aus altägyptischer Zeit. Sie sind nicht alt genug.«
»Pingelig, pingelig«, meinte Bes. »Das sind die Treppenstufen zum Crystal Palace. Große Glas-und-Stahl-Ausstellungshalle, so groß wie eine Kathedrale, stand mal direkt hier auf diesem Hügel.«
Sadie sah ihn fragend an. »Darüber hab ich was in der Schule gelesen. Queen Victoria hat da eine Party gefeiert oder so was.«
»Eine Party oder so was?«, grunzte Bes. »Es war die Weltausstellung von 1851. Machtdemonstration des British Empire et cetera. Es gab leckere kandierte Äpfel.«
»Du warst da?«, fragte ich.
Bes zuckte die Achseln. »Dank irgendwelcher vertrottelter Magier brannte der Palast in den Dreißigerjahren ab – aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt sind nur noch ein paar Überbleibsel wie diese Treppe und die Sphingen davon übrig.«
»Eine Treppe ins Nichts«, bemerkte ich.
»Nicht ins Nichts«, korrigierte mich Bes. »Sie wird uns heute Abend nach Sankt Petersburg bringen.«
Walt beugte sich vor. Sein Interesse an den Statuen hatte ihn scheinbar aus seiner düsteren Stimmung gerüttelt.
»Aber wenn die Sphingen gar nicht wirklich ägyptisch sind«, sagte er, »wie können sie dann ein Portal öffnen?«
Bes grinste sein Pferdegebisslächeln. »Kommt drauf an, was du unter wirklich ägyptisch verstehst, Kleiner. Jedes mächtige Reich ist ein Möchtegern-Ägypten. Ägyptischen Krempel um sich zu haben gibt Leuten das Gefühl, wichtig zu sein. Deshalb existieren ›neue‹ ägyptische Artefakte in Rom, Paris, London – wo auch immer. Dieser Obelisk in Washington –«
»Erwähne den bitte nicht«, meinte Sadie.
»Wie dem auch sei«, fuhr Bes fort. »Das hier sind immer noch ägyptische Sphingen. Sie wurden geschaffen, um das britische Empire in die Nähe des alten Ägypten zu rücken. Und klar können sie Magie kanalisieren. Vor allem, wenn ich fahre. Und jetzt …« Er sah zu Walt. »Wahrscheinlich steigst du jetzt besser aus.«
Ich war zu überrascht, um etwas zu sagen, doch Walt starrte auf seinen Schoß, als habe er darauf schon gewartet.
»Moment mal«, sagte Sadie. »Warum soll Walt nicht mitkommen? Er ist ein Magier. Er kann uns helfen.«
Bes’ Gesichtsausdruck wurde ernst. »Walt, hast du es ihnen nicht erzählt?«
»Uns was erzählt?«, fragte Sadie.
Walt umklammerte seine Amulette, als wäre vielleicht eines darunter, das ihm helfen könnte, dieser Unterhaltung aus dem Weg zu gehen. »Es ist nichts. Wirklich. Es ist bloß … Ich sollte besser ins Brooklyn House zurück und mich dort nützlich machen. Und Jaz dachte –«
Er zauderte, vielleicht wurde ihm klar, dass er ihren Namen nicht hätte erwähnen sollen.
»Ja?« Sadie klang gefährlich ruhig. »Wie geht es Jaz?«
»Sie – sie liegt immer noch im Koma«, erwiderte Walt. »Amos meint, sie schafft es vielleicht, aber das ist nicht das, was ich –«
»Gut«, sagte Sadie. »Freut mich, dass sie sich erholen wird. Dann musst du also zurück. Das ist toll. Dann nichts wie los. Anubis meinte, wir sollen uns beeilen.«
Nicht sehr subtil, wie sie seinen Namen fallenließ. Walt sah aus, als hätte sie ihm gegen die Brust geboxt.
Ich wusste, dass Sadie nicht fair zu ihm war. Nach meiner Unterhaltung mit Walt im Brooklyn House war mir klar, dass er Sadie mochte. Was immer ihn belastete, hatte nichts mit irgendwelchem Gefühlskram mit Jaz zu tun. Andererseits
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