Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
verknallt hatten? Weil wir so viel miteinander durchgemacht und uns gegenseitig das Leben gerettet haben? Sie hatte diese Erinnerungen nicht. Sie erinnerte sich an mich – irgendwie. Doch unsere gemeinsame Zeit war wie ein Film, den sie mal gesehen hatte, in dem eine Schauspielerin ihre Rolle spielte und Dinge tat, die sie sonst niemals tun würde.
»Du kennst mich nicht«, sagte sie bitter. »Jetzt geh, bevor ich mich zum Kampf gezwungen sehe. Ich schaffe es allein zurück zum Ersten Nomos.«
»Vielleicht hat sie Recht, Kleiner«, sagte Bes. »Wir sollten losfahren. Wir haben genug herumgezaubert, um alle möglichen Alarmglocken auszulösen.«
Ich ballte die Fäuste. Meine schlimmsten Befürchtungen waren eingetroffen. Zia konnte mich nicht leiden. Alles, was wir miteinander geteilt hatten, war zusammen mit ihrer Tonkopie zerbröckelt. Aber wie ich vielleicht schon erwähnt habe: Wenn man mir etwas verbieten will, kann ich ziemlich bockig reagieren.
»Ich verlasse dich nicht.« Ich deutete auf die Ruinen des Dorfes. »Zia, dieser Ort wurde von Apophis zerstört. Es war kein Zufall. Es war nicht die Schuld deines Vaters. Die Schlange hatte dich im Visier. Iskander hat sich deiner angenommen, weil er spürte, dass dir ein bedeutendes Schicksal bevorsteht. Aus demselben Grund hat er dich mitsamt Krummstab und Geißel des Pharaos versteckt – nicht nur, weil du eine Göttin beherbergt hast, sondern weil er wusste, dass er stirbt, und Angst hatte, er könnte nicht mehr in der Lage sein, dich zu beschützen. Ich weiß nicht genau, wie dein Schicksal aussieht, aber –«
»Hör auf!« Sie ließ erneut die Spitze ihres Zauberstabes aufflammen. Dieses Mal brannte er heller. »Du bringst meine Gedanken durcheinander. Du bist genau wie die Albträume.«
»Du weißt, dass ich das nicht bin.« Vermutlich hätte ich besser die Klappe gehalten, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Zia mich tatsächlich verbrennen würde. »Bevor er starb, wurde Iskander klar, dass die alten Formen der Magie zurückgebracht werden mussten. Aus diesem Grund ließ er Sadie und mich am Leben. Götter und Magier müssen zusammenarbeiten. Du – also, dein Uschebti hat das begriffen, als wir gemeinsam an der roten Pyramide kämpften.«
»Kleiner«, wiederholte Bes mit mehr Nachdruck. »Wir sollten wirklich los.«
»Komm mit uns«, forderte ich Zia auf. »Ich weiß, dass du dich immer allein gefühlt hast. Außer Iskander hattest du niemanden. Ich verstehe das, aber ich bin dein Freund. Wir können dich beschützen.«
»Mich beschützt keiner!« Sie sprang auf die Füße. »Ich bin eine Schreiberin des Lebenshauses!«
Aus ihrem Zauberstab schossen erneut Flammen. Ich griff nach meinem Zaubermesser, das ich allerdings im Fluss verloren hatte. Instinktiv umfassten meine Hände die Würdezeichen des Pharaos – den Krummstab und die Geißel. Als ich sie zu einem abwehrenden X in die Höhe hielt, zerbrach Zias Zauberstab sofort. Das Feuer löste sich auf.
Zia taumelte zurück, von ihren Händen stieg Rauch auf.
Sie starrte mich völlig schockiert an. »Du wagst es, die Insignien Res zu benutzen?«
Ich sah wahrscheinlich genauso überrascht aus. »Ich – ich wollte das nicht! Ich wollte bloß reden. Du bist bestimmt hungrig. Wir haben Wasser und Lebensmittel in dem Pick-up –«
»Carter!« Bes wirkte angespannt. »Irgendwas stimmt hier nicht …«
Er drehte sich zu spät um. Rings um ihn explodierte grellweißes Licht. Als ich keine schwarzen Flecken mehr vor Augen hatte, stand Bes erstarrt in einem Käfig, dessen Stangen wie Neonröhren leuchteten. Neben ihm standen die beiden Menschen, die ich am allerwenigsten sehen wollte:
Michel Desjardins und Wlad der Inhalator.
Desjardins sah sogar noch älter aus als in meiner Vision. Sein ergrautes Haar und der Gabelbart waren lang und verfilzt. Sein cremefarbenes Gewand schlotterte um seinen Körper. Der Leopardenumhang des Obersten Vorlesepriesters rutschte ihm von der linken Schulter.
Wlad Menschikow hingegen sah wohl erholt aus und schien bereit, eine kleine Runde Quält-die-Kanes zu spielen. Er trug einen sauberen weißen Leinenanzug und hielt einen neuen Schlangenzauberstab in der Hand. Seine silberne Schlangenhalskette hob sich glitzernd von seiner Krawatte ab. Auf seinem lockigen grauen Haar saß ein weißer Filzhut, vermutlich um die Kopfwunden zu verdecken, die Seth ihm zugefügt hatte. Er lächelte, als sei er erfreut, mich zu sehen, was überzeugend hätte
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