Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
aufs Maul.«
Sobek warf den schuppigen grünen Kopf zurück und lachte. »Gut gekontert, Mädchen! Du hast echt Eisen in den Knochen.«
Das sollte vermutlich ein Kompliment sein. Ich entschied mich für ein spöttisches Grinsen und drehte mich weg.
Sobek hatte nur Respekt vor Stärke. Bei unserer ersten Begegnung hatte er Carter fast im Rio Grande ertränkt und mich über die texanisch-mexikanische Grenze geschleudert. Unser Verhältnis hatte sich seitdem nicht wesentlich gebessert. Soweit ich gehört hatte, hat er erst eingewilligt, auf unserer Seite zu kämpfen, nachdem Horus und Isis ihm große körperliche Schmerzen angedroht hatten. Mit seiner Loyalität war es nicht weit her.
Die leuchtenden Mannschaftskugeln sausten um mich herum und surrten in meinem Kopf – kleine freudige Begrüßungen: Sadie, Sadie, Sadie. Früher einmal hatten auch sie mir nach dem Leben getrachtet. Seit ich ihren alten Gebieter Re jedoch wieder zum Leben erweckt hatte, waren sie ziemlich nett zu mir.
»Ja, hallo, Jungs«, murmelte ich. »Schön, euch zu sehen. Entschuldigt mich.«
Ich folgte Carter und Zia zu dem blutroten Thron. Re schenkte uns ein zahnloses Grinsen. Er war so alt und verhutzelt wie eh und je, aber seine Augen waren irgendwie anders. Zuvor war sein Blick immer über mich hinweggeglitten, als sei ich Teil der Szenerie. Nun blickte er mir wirklich ins Gesicht.
Er hielt uns einen Teller mit Macarons und Schokoladenkeksen entgegen, die von der Hitze seines Throns ein wenig zerlaufen waren. »Kekse? Wiiieh!«
»Ähm, danke.« Carter nahm ein Macaron.
Ich wählte natürlich Schokolade. Ich hatte, seit wir den Gerichtssaal unseres Vaters verlassen hatten, nichts Vernünftiges mehr gegessen.
Re stellte den Teller ab und rappelte sich schwankend auf. Bes wollte ihm behilflich sein, doch Re winkte ab. Er wankte auf Zia zu.
»Zia«, trällerte er fröhlich, als sänge er ein Kinderlied. »Zia, Zia, Zia.«
Es versetzte mir einen Schock, als ich hörte, wie er sie zum ersten Mal mit ihrem richtigen Namen ansprach.
Er streckte die Hand aus und wollte ihr Skarabäusamulett berühren. Zia wich verunsichert zurück. Sie blickte hilfesuchend zu Carter.
»Es ist schon in Ordnung«, versicherte Carter.
Sie holte tief Luft. Sie löste ihre Halskette und drückte sie dem alten Mann in die Hände. Von dem Skarabäus ging ein warmer Schein aus, der Zia und Re in ein leuchtendes goldenes Licht hüllte.
»Gut, gut«, sagte Re. »Gut …«
Ich erwartete, dass sich der Zustand des alten Gottes bessern würde. Stattdessen begann er zu zerfallen.
Es gehörte zu dem Erschreckendsten, was ich an einem sehr erschreckenden Tag gesehen hatte. Zuerst fielen seine Ohren ab und verwandelten sich in Staub. Dann wurde seine Haut zu Sand.
»Was passiert mit ihm?«, schrie ich. »Wir müssen was unternehmen!«
Carters Augen wurden vor Angst immer größer. Sein Mund öffnete sich, doch es kamen keine Worte heraus.
Res lächelndes Gesicht löste sich auf. Seine Arme und Beine fielen wie bei einer ausgetrockneten Sandskulptur ab. Seine Bestandteile verteilten sich im Fluss der Nacht.
Bes stöhnte. »Das ging schnell.« Er wirkte nicht sonderlich schockiert. »Normalerweise dauert es länger.«
Ich starrte ihn an. »Du hast das schon mal gesehen?«
Bes grinste mich schief an. »Hey, ich hab schließlich damals meine Schichten auf der Sonnenbarke geschoben. Wir haben alle gesehen, wie Re diesen Kreislauf durchlief. Aber es ist lange, lange her. Schau.«
Er deutete auf Zia.
Obwohl der Skarabäus aus ihren Händen verschwunden war, strahlte rings um sie noch immer ein Ganzkörperheiligenschein aus goldenem Licht. Sie wandte sich mit einem strahlenden Lächeln zu mir. Ich hatte sie noch nie so entspannt, so zufrieden gesehen.
»Jetzt verstehe ich es.« Ihre Stimme klang viel voller, ein Chor von Tönen, die in Oktaven durch die Duat nach unten sanken. »Es geht um das Gleichgewicht, oder? Meiner Gedanken und seiner. Oder sind es meine und ihre …?«
Sie lachte wie ein Kind, das zum ersten Mal Fahrrad fährt. »Die Wiedergeburt! Endlich! Ihr hattet Recht, Sadie und Carter Kane! Nach dieser Ewigkeit in der Dunkelheit wurde ich endlich durch Zias Mitgefühl wiedergeboren. Ich habe völlig vergessen, wie es sich anfühlt, jung und stark zu sein.«
Carter wich einen Schritt zurück. Dafür konnte ich ihm keinen Vorwurf machen. Mir stand noch allzu gut vor Augen, wie Walt und Anubis sich zu einer Person verbunden hatten, deswegen konnte ich
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