Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
Nomos, aber von Walt keine Spur. Ich versuchte, über das Schen -Amulett zu ihm Kontakt aufzunehmen. Keine Antwort. Ich unternahm sogar den Versuch, Isis anzurufen, um sie um Rat zu fragen, aber die Göttin schwieg sich aus. Das gefiel mir nicht.
Ich war also während Carters kleiner Antrittsrede im Gang der Zeitalter ziemlich verwirrt: Ich möchte all denjenigen danken, die mich zum Pharao gemacht haben et cetera, et cetera.
Ich freute mich, dass wir in die Unterwelt reisten, um meinen Dad und meine Mom wiederzusehen. Wenigstens sie waren nicht tabu. Aber ich war ziemlich enttäuscht, als ich Walt nicht dort vorfand. Wenn er schon nicht in der Welt der Sterblichen sein durfte, sollte er dann nicht in der Halle der beiden Wahrheiten sein, um Anubis’ Aufgaben zu übernehmen?
Da zog mich meine Mutter zur Seite. (Das ist nicht wörtlich zu nehmen. Als Geist konnte sie mich nirgendwohin ziehen.) Wir standen links neben dem Podest, auf dem die toten Musiker lebhaft spielten. JD Grissom und seine Frau Anne lächelten mir zu. Sie schienen glücklich zu sein und ich freute mich für sie, trotzdem hatte ich immer noch Schuldgefühle.
Meine Mutter zupfte an ihrer Halskette – einer geisterhaften Nachbildung meines eigenen Tit -Amuletts. »Sadie … du und ich, wir hatten nie viel Gelegenheit zu reden.«
Leichte Untertreibung, schließlich war sie gestorben, als ich sechs war. Aber ich verstand, was sie meinte. Selbst nach unserem Wiedersehen im letzten Frühling hatten sie und ich uns nie richtig unterhalten. Sie in der Duat zu besuchen war eher schwierig und Geister kann man nicht per E-Mail oder Skype oder Smartphone erreichen. Selbst wenn sie eine anständige Internetverbindung gehabt hätte, hätte es sich ziemlich schräg angefühlt, meine Mutter als Facebook-Freundin zu haben.
Ich sagte nichts dergleichen. Ich nickte bloß.
»Du bist eine starke Persönlichkeit geworden, Sadie«, sagte Mom. »Du musstest so lange tapfer sein, dass es dir sicher schwerfällt, dich fallenzulassen. Du hast Angst, noch mehr Menschen zu verlieren, die dir wichtig sind.«
Ich fühlte mich benommen, vielleicht verwandelte ich mich ja auch schon in einen Geist? War ich bereits durchsichtig wie meine Mutter? Ich hätte gern diskutiert und widersprochen und Witze gerissen. Ich wollte den Kommentar meiner Mutter nicht hören, vor allem weil er so zutreffend war.
Gleichzeitig war ich wegen Walt so durcheinander, so voller Sorge, was wohl mit ihm passiert war, dass ich mich gehenlassen und an der Schulter meiner Mutter ausheulen wollte. Ich wollte, dass sie mich in den Arm nahm und mir versicherte, dass alles gut war. Leider kann man sich nicht an der Schulter eines Geistes ausheulen.
»Ich weiß«, sagte meine Mutter traurig, als hätte sie meine Gedanken erraten. »Ich war überhaupt nicht für dich da, als du klein warst. Und dein Vater … tja, er musste dich bei Gran und Gramps lassen. Sie versuchten, dir ein normales Leben zu bieten, aber du bist so viel mehr als normal, stimmt’s? Und jetzt stehst du hier, eine junge Frau …« Sie seufzte. »Ich habe so viel von deinem Leben verpasst, dass ich nicht weiß, ob du meinen Rat jetzt überhaupt hören möchtest. Aber wenn du mich fragst: Verlass dich auf dein Gefühl. Ich kann dir nicht versprechen, dass du nicht wieder verletzt wirst, aber ich kann dir versichern, dass es das Risiko wert ist.«
Ich musterte ihr Gesicht, das sich seit dem Tag, an dem sie gestorben war, nicht verändert hatte: ihr feines blondes Haar, ihre blauen Augen, die ziemlich spitzbübisch geschwungenen Augenbrauen. So oft hatte man mir gesagt, dass ich ihr ähnlich sei. Nun konnte ich es deutlich sehen. Je älter ich wurde, umso auffälliger wurde die Ähnlichkeit. Mit ein paar lila Strähnchen im Haar hätte Mom ein geniales Sadie-Double abgegeben.
»Du sprichst von Walt«, sagte ich schließlich. »Ist das ein vertrauliches Gespräch über Jungs?«
Mom zuckte zusammen. »Ja, hmm … ich fürchte, ich stelle mich blöd an. Aber ich musste es versuchen. Als ich ein Mädchen war, war Gran mir keine große Hilfe. Ich hatte nie das Gefühl, mit ihr reden zu können.«
»Kann ich mir vorstellen.« Ich versuchte mir ein Gespräch über Jungs mit Gran vorzustellen, während Gramps den Fernseher anbrüllte und nach mehr Tee und verbrannten Keksen verlangte.
»Ich denke«, setzte ich an, »dass Mütter einen normalerweise davor warnen, seinem Herzen zu folgen, sich mit der falschen Sorte Jungs einzulassen,
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