Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
er von meiner Rede wusste. In meinem Hals bildete sich ein Kloß. Mein Vater ist keiner, der leichtfertig Komplimente verteilt. Wieder mit ihm zusammen zu sein erinnerte mich daran, wie viel einfacher das Leben gewesen war, als ich mit ihm herumreiste. Er hatte immer gewusst, was zu tun war, und immer die Ruhe behalten. Bis zu jenem Weihnachtsabend in London, an dem er verschwunden war, hatte ich überhaupt nicht zu schätzen gewusst, wie sehr ich mich auf ihn verlassen konnte.
»Ich weiß, es war hart«, sagte Dad, »aber du wirst die Kane-Familie in die Zukunft führen. Du bist wirklich aus meinem Schatten herausgetreten.«
»Nicht ganz«, sagte ich. »Das würde ich auch gar nicht wollen. Was Väter angeht, wirfst du, ähm, einen ganz schön großen Schatten.«
Er lachte. »Ich werde da sein, wenn du mich brauchst. Darauf kannst du dich immer verlassen. Doch wie Re schon sagte, die Götter werden es jetzt nach der Ächtung von Apophis schwerer haben, mit der Welt der Sterblichen Kontakt aufzunehmen. Wenn sich das Chaos zurückzieht, gilt das Gleiche für Maat. Aber ich glaube auch nicht, dass du viel Hilfe brauchen wirst. Du hast alles aufgrund deiner eigenen Stärke erreicht. Nun bist du derjenige, der einen langen Schatten wirft. Das Lebenshaus wird sich noch lange an dich erinnern.«
Als er mich noch einmal umarmte, vergaß ich, dass er der Gott der Toten war. Er war einfach mein Dad – warm und lebendig und stark.
Sadie kam zurück, sie sah ein bisschen mitgenommen aus.
»Was ist?«, fragte ich.
Sie kicherte ohne ersichtlichen Grund, dann wurde sie wieder ernst. »Nichts.«
Mom schwebte neben ihr her. »Dann mal tschüs, ihr zwei. Das Brooklyn House wartet.«
Neben dem Thron öffnete sich wieder eine Tür aus Dunkelheit. Sadie und ich traten hindurch. Ausnahmsweise machte ich mir mal keine Sorgen, was uns auf der anderen Seite erwartete. Ich wusste, dass es nach Hause ging.
Mit erstaunlicher Geschwindigkeit zog wieder Normalität in unser Leben ein.
Ich werde Sadie nachher von den Ereignissen im Brooklyn House und ihren Liebesgeschichten erzählen lassen und zu den interessanten Sachen vorspulen.
[Aua! Ich dachte, wir hätten uns drauf geeinigt, dass nicht gekniffen wird!]
Zwei Wochen nach der Schlacht gegen Apophis saßen Zia und ich im Foodcourt der Mall of America in Bloomington, Minnesota.
Warum dort? Ich hatte gehört, dass es die größte Mall in Amerika sein sollte, also dachte ich mir, wir fangen groß an. Durch die Duat war es eine kurze Reise. Freak freute sich, auf dem Dach zu sitzen und gefrorene Truthähne zu verspeisen, während Zia und ich durch die Mall bummelten.
[Ganz richtig, Sadie. Für unser erstes richtiges Date holte ich Zia in einem Boot ab, das von einem debilen Greif gezogen wurde. Na und? Sind deine Dates nicht auch merkwürdig?]
Als wir den Foodcourt fanden, klappte Zia jedenfalls der Kiefer runter. »Götter Ägyptens …«
Die Auswahl an Essen war ziemlich überwältigend. Da wir uns nicht entscheiden konnten, nahmen wir von allem etwas: Chinesisch, Mexikanisch (die Macho Nachos), Pizza und Eis – die vier Hauptnahrungsgruppen. Wir wählten einen Tisch, von dem man auf einen Rummel in der Mitte der Mall schaute.
Im Foodcourt hing eine Menge anderer Jugendlicher ab. Viele von ihnen starrten uns an. Na ja … nicht mich . Die meisten sahen zu Zia, garantiert fragten sie sich, was ein Mädchen wie sie mit einem Typen wie mir machte.
Sie hatte sich seit der Schlacht gut erholt. Sie trug ein schlichtes ärmelloses beigefarbenes Leinenkleid und schwarze Sandalen – kein Make-up und außer ihrer goldenen Skarabäuskette keinen Schmuck. Sie sah viel glamouröser und erwachsener aus als die anderen Mädchen in der Mall.
Ihr langes schwarzes Haar war bis auf eine kleine Strähne, die sich hinter dem rechten Ohr kringelte, zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Sie hatte schon immer leuchtende Bernsteinaugen und warme Milchkaffeehaut gehabt, doch seit sie Res Gastkörper gewesen war, schien sie noch mehr zu leuchten. Ich konnte ihre Wärme über den Tisch hinweg spüren.
Sie lächelte mich über ihre Schüssel Chow Mein an. »Das machen also normale amerikanische Jugendliche?«
»Hm … Ja«, sagte ich. »Auch wenn ich nicht glaube, dass einer von uns beiden jemals als normal durchgehen wird.«
»Hoffentlich nicht.«
Wenn ich sie anschaute, hatte ich Schwierigkeiten, klar zu denken. Hätte sie mir befohlen, über das Geländer zu springen, hätte ich es
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