Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
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Taweret und ich liefen weiter. Wir kamen zu dem Kai, an dem Res Sonnenbarke vor Anker gelegen hatte, als Carter und ich zum ersten Mal an diesen Ort kamen.
Bes saß am Ende der Pier auf einem bequemen Ledersessel, den Taweret wohl extra für ihn heruntergetragen hatte. Er trug ein sauberes rot-blaues Hawaiihemd und Khakishorts. Sein Gesicht war schmaler als im letzten Frühling, ansonsten wirkte er jedoch unverändert – dieselben schwarzen Zottelhaare, dieselbe struppige Mähne, die einen Bart darstellen sollte, dasselbe liebenswert groteske Gesicht, das mich an einen Mops erinnerte.
Nur Bes’ Seele war nicht mehr da. Er starrte abwesend auf den See und zeigte keinerlei Reaktion, als ich mich neben ihn kniete und seine pelzige Hand nahm.
Ich dachte daran, wie er mir das erste Mal das Leben gerettet hatte – er hatte mich in einer total zugemüllten Limousine abgeholt, zur Waterloo Bridge gefahren und dann zwei Götter in die Flucht geschlagen, die hinter mir her gewesen waren. Er war nur mit einer Speedo-Badehose bekleidet aus dem Wagen gesprungen und hatte »BUH!« gebrüllt.
Ja, er war ein echter Freund gewesen.
»Lieber Bes«, sagte ich. »Wir werden versuchen, dir zu helfen.«
Ich erzählte ihm alles, was seit meinem letzten Besuch passiert war. Ich wusste, dass er mich nicht hören konnte. Seit ihm sein geheimer Name gestohlen worden war, existierte sein Geist einfach nicht mehr. Trotzdem fühlte ich mich besser, wenn ich mit ihm redete.
Taweret schniefte. Auch wenn er ihre Gefühle nicht immer erwidert hatte, war sie seit Ewigkeiten in Bes verliebt. Er hätte wirklich keine bessere Pflegerin haben können.
»Ach, Sadie …« Die Nilpferdgöttin wischte eine Träne weg. »Wenn du ihm wirklich helfen könntest, ich – ich würde alles dafür geben. Aber wie soll das funktionieren?«
»Schatten«, sagte ich. »Dieser Setnefritze … Er hat eine Methode herausgefunden, wie sich Schatten für einen Ächtungszauber verwenden lassen. Wenn der Schut eine Sicherheitskopie der Seele ist und wenn sich Setnes Zauber auch in umgekehrter Richtung anwenden lässt …«
Taweret bekam große Augen. »Du glaubst, du könntest Bes mit Hilfe seines Schattens zurückbringen?«
»Ja.« Ich weiß, es klingt irre, aber ich musste daran glauben. Es vor Taweret auszusprechen, der Bes noch mehr bedeutete als mir … na ja, ich konnte sie einfach nicht enttäuschen. Außerdem, wenn wir es bei Bes schafften, wer weiß? Vielleicht konnten wir denselben Zauber einsetzen, um den Sonnengott Re wieder in Kampfverfassung zu bringen? Aber eines nach dem anderen. Ich hatte vor, das Versprechen einzuhalten, das ich dem Zwergengott gegeben hatte.
»Jetzt kommt der knifflige Teil«, sagte ich. »Ich hoffe, du kannst mir helfen, Bes’ Schatten aufzuspüren. Ich habe nicht viel Ahnung von Göttern und ihren Schuts und was sonst noch. Soweit ich weiß, versteckst du sie öfters mal?«
Taweret trat nervös von einem Fuß auf den anderen, was die Planken der Pier knarren ließ. »Ähm, ja …«
»Ich hoffe, sie funktionieren ein bisschen wie geheime Namen«, bohrte ich weiter. »Da ich Bes nicht fragen kann, wo er seinen Schatten aufbewahrt, dachte ich mir, ich frag diejenige, die ihm am nächsten stand. Ich dachte mir, wenn überhaupt jemand, dann weißt du es.«
Ein Nilpferd rot werden zu sehen ist ziemlich komisch. Es ließ Taweret beinahe zart erscheinen – auf eine robuste Art.
»Ich – ich habe seinen Schatten einmal gesehen«, räumte sie ein. »Während einer unserer schönsten Momente. Wir saßen vor dem Tempel in Saïs und lehnten uns gegen die Wand.«
»Wie?«
»Eine Stadt im Nildelta«, erklärte Taweret. »Das Zuhause einer unserer Freundinnen – der Jagdgöttin Neith. Sie hat Bes und mich gern zu ihren Jagdausflügen eingeladen. Wir haben ihre, ähm, Beute für sie aufgescheucht.«
Ich stellte mir Taweret und Bes vor, zwei Gottheiten mit überhässlichen Kräften, die Hand in Hand durch die Sümpfe stürmten und »Buh!« brüllten, um einen Schwarm Wachteln aufzuschrecken.
»Auf jeden Fall«, fuhr Taweret fort, »saßen Bes und ich eines Abends nach dem Essen allein vor Neiths Tempel und sahen zu, wie der Mond über dem Nil aufging.«
Sie warf dem Zwergengott derart schmachtende Blicke zu, dass ich nicht anders konnte, als mir vorzustellen, ich selbst säße an dieser Tempelwand bei einem romantischen Date mit Anubis … nein, Walt … nein … Oje! Mein Leben war schrecklich.
Ich seufzte
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