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Die Kanonen von Navarone

Die Kanonen von Navarone

Titel: Die Kanonen von Navarone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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fuhren nach Protosami.« Die Zigarette in Mallorys Hand brach plötzlich durch und flog im Bogen über Bord. Miller war ein wenig überrascht, denn so spontane Gefühlsäußerungen hatte er bei diesem stahlharten Neuseeländer bisher nicht bemerkt. Doch Mallorys Stimme blieb ruhig, als er fortfuhr.
    »Sie trafen ein am Abend des berüchtigten Blutbads von Protosami. George hat mir erzählt, wie Andrea dort in einer deutschen Uniform stand, und lachte, als er zusah, wie neun oder zehn bulgarische Soldaten die Männer und Frauen paarweise zusammenbanden und in den Fluß stießen. Das erste Paar, das sie hineinwarfen, waren sein Vater und seine Stiefmutter, beide tot.«
    »Allmächtiger Himmel!« Sogar Miller verlor vor Entsetzen seine gleichgültige Ruhe. »Das ist doch nicht zu glauben. Wie konnte er so etwas tun!«
    »Sie haben keine Ahnung«, unterbrach ihn Mallory ungeduldig. »In Mazedonien sind Hunderte von Griechen auf diese Weise gestorben – nur daß sie meistens noch lebend in den Fluß geworfen wurden. Ehe Sie nicht wissen, wie sehr die Griechen und Bulgaren sich hassen, haben Sie keine Ahnung, was Haß ist …! Andrea trank mehrere Flaschen Wein mit den Soldaten, wobei er erfuhr, daß sie seine Eltern schon nachmittag umgebracht hatten, weil sie ihnen Widerstand leisten wollten. Als es dunkel war, folgte er ihnen nach dem alten Wellblechschuppen, in dem sie für diese Nacht kampierten. Er hatte nichts weiter bei sich als ein Messer. Vor den Eingang hatten sie einen Posten gestellt. Andrea brach ihm das Genick, ging hinein, verschloß die Tür von innen und zerschlug die Petroleumlampe. George weiß nicht genau, was drinnen geschah, er weiß nur, daß Andrea wie wahnsinnig wütete. In zwei Minuten kam er schon wieder heraus, vollständig verschmutzt, seine Uniform von oben bis unten mit Blut durchtränkt. Aus der Hütte drang kein Laut mehr, nicht einmal ein Stöhnen, als sie abfuhren. So hat George es berichtet.«
    Er machte wieder eine Pause, doch diesmal unterbrach ihn keiner. Stevens zog sich schaudernd die schäbige Jacke fester um die Schultern, es war auf einmal kalt. Mallory zündete sich, ihm matt zulächelnd, eine neue Zigarette an und nickte nach dem Wachtturm. »Verstehen Sie jetzt, weshalb wir Andrea da oben nur hinderlich wären, wie ich vorhin sagte?«
    »Ja-a. Ja-a, das verstehe ich nun«, gab Miller zu. »Ich hatte ja keine Ahnung, keine Ahnung … Doch nicht alle Mann, Boß? Er kann sie doch unmöglich alle um –«
    »Doch, das hat er getan«, fiel ihm Mallory trocken ins Wort. »Und nachher hat er mit einer eigenen Bande den bulgarischen Vorposten in Thrazien das Leben zur Hölle gemacht. Eine Zeitlang hat fast eine ganze Division im Rhodopegebirge nach ihm gefahndet. Schließlich wurde er gefangen, durch Verrat, und mit George und noch vier Mann nach Stavros transportiert – sie sollten zur Verurteilung nach Saloniki gebracht werden. Sie überwältigten auf dem Schiff die Wachen – Andrea hatte sich nachts von seinen Fesseln befreit – und segelten das Schiff nach der Türkei. Die Türken versuchten, Andrea zu internieren, aber ebensogut hätten sie ein Erdbeben ›internieren‹ können. Nach einiger Zeit erschien er in Palästina und wollte dort dem griechischen Sonderbataillon beitreten, das im Mittelosten zusammengestellt wurde, hauptsächlich aus bewährten Albanienkämpfern, also Leuten von seinem Schlage.«
    Mallory lachte freudlos.
    »Da haben sie ihn als Deserteur festgenommen! Allerdings wurde er nachher wieder freigelassen, aber in der neuen griechischen Armee war für ihn kein Platz. Doch Jensens Abteilung erfuhr von ihm, und die erkannten, daß er der richtige Mann für Geheimkommandos war … Und so gingen wir zusammen nach Kreta.«
    Fünf Minuten und noch länger sprach keiner ein Wort. Hin und wieder machten sie für ihre »Zuschauer« trinkende Bewegungen, aber jetzt war auch das Zwielicht vorbei, und Mallory wußte, daß man sie von der Höhe aus höchstens noch als unklare Schattenflecke sehen konnte. Die Kajike begann in dem von See stärker hereindrückenden Wasser zu schaukeln. Die ragenden Fichten, die jetzt schwarz aussahen wie Zypressen in der Nacht und unwahrscheinlich hoch wirkten gegen die Wolken, die zerrissen und bleich unter den Sternen dahintrieben, schlossen sich gleichsam von beiden Seiten über ihnen, düster, wie drohende Wächter, während der Wind in ihren schwankenden Kronen ein trauriges Requiem sang, wie das Stöhnen verlorener Seelen.

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