Die Kanonen von Navarone
gestohlen bleiben … Ein halbes Kind war dieser junge Stevens noch, innerlich zerbrochen vor Furcht, und doch der Tapferste von ihnen allen …
Der Feldwebel gab, knapp, energisch und selbstsicher, seinen Leuten jetzt eine Reihe von Befehlen. Arzt holen, Knochenschienen, eine Bahre, einen Mastenkran mit Verankerungen, Seile, Steigeisen … sein trainiertes militärisches Gehirn vergaß nichts, was dazugehörte. Mallory wartete gespannt, wieviel Mann – vielleicht gar keiner? – hier zurückbleiben würden, denn mehrere mußten ja gehen, und das konnte ihnen nicht verborgen bleiben. Sie schnell und ohne Lärm zu erledigen, wäre für ihn kein Problem: ein geflüstertes Wort in Andreas Ohr, dann hatten diese Soldaten so wenig Aussicht, davonzukommen, wie Schafe im Stall vor einem räubernden Wolf. Noch weniger sogar, denn die Schafe hätten noch blökend hin und her rennen können, ehe sich das Dunkel um sie schloß …
Der Feldwebel löste für sie das Problem. Die selbstsichere Entschlußfähigkeit und die von jedem Sentiment freie, rücksichtslose Härte, die den deutschen Unteroffizier zum besten auf der Welt machten, gaben Mallory die Chance, auf die er nie gerechnet hätte. Kaum hatte der Feldwebel seine Befehle erteilt, da legte ihm der junge Soldat, der schon vorher gesprochen hatte, eine Hand auf dem Arm, deutete über den Klippenrand und fragte zögernd: »Was wird mit dem armen Erich, Feldwebel? Müssen wir nicht – wäre es nicht richtiger, daß einer von uns bei ihm bleibt?«
»Und was könnten Sie machen, wenn Sie hierblieben? Ihm die Hand halten?« gab der Feldwebel sarkastisch zurück. »Wenn er sich bewegt und abstürzt, dann fällt er eben, und das läßt sich auch nicht ändern, wenn wir mit hundert Mann hier oben stehen und dabei zusehen. Los, Sie gehen mit, und vergeßt nicht die Hämmer und die Pflöcke zum Verankern der Kranstützen. Packt alles gut zusammen.«
Die drei machten kehrt und entfernten sich rasch, ohne ein Wort, nach Osten. Der Feldwebel begab sich zum Telefon, machte eine kurze Meldung am Apparat, dann ging er in die entgegengesetzte Richtung – vermutlich, um den nächsten Posten zu kontrollieren. Während der Deutsche noch als verschwommener Fleck in Sicht war, gab Mallory flüsternd Brown und Miller den Befehl, wieder rechts und links auf ihre Plätze zu gehen. Sie konnten noch das gleichmäßige Knirschen hören, als der Feldwebel gemessen über ein Stück kiesigen Bodens schritt, und schon ließen sie ihr an dem Felsen gesichertes Seil wie eine Schlange über den Kaminrand wirbeln.
In wenigen Sekunden waren Andrea und Mallory in die Tiefe geglitten.
Stevens lag, ganz verrenkt und gekrümmt, mit dem blutenden Schnitt im Gesicht, grausam hart auf einem messerscharfen Felsgrat. Er war noch bewußtlos, atmete laut röchelnd durch den offenen Mund. Sein rechtes Bein war unter dem Knie abgeknickt und stand in einem unmöglichen Winkel an der Felswand nach oben. So sanft wie möglich hob Mallory, sich zu beiden Seiten gegen die Kaminwände stemmend und von Andrea gestützt, das verdrehte Bein an und legte es gerade. Zweimal stöhnte Stevens unter dem Schmerz, unbewußt in der Starre seiner tiefen Ohnmacht, aber Mallory konnte ihm das nicht ersparen, er biß die Zähne zusammen, daß ihm die Kinnbacken wehtaten. Langsam und mit größter Vorsicht krempelte er das Hosenbein auf. Mit einem zischenden Laut kniff er, in jähem Schrecken fast übel werdend, die Augen zu, als er aus dem zerrissenen, violett angeschwollenen Fleisch in mattem Weiß das zerschmetterte Schienbein herausragen sah.
»Komplizierter Bruch, Andrea«, sagte er. Sanft tastete er mit den Fingern an dem verstümmelten Bein entlang und fühlte mit den Spitzen unter die Lasche des Stiefels, jäh innehaltend, als bei seiner ganz leichten Berührung das Fleisch nachgab. »Oh, mein Gott«, murmelte er, »noch ein Bruch, dicht über dem Knöchel! Der Junge ist übel dran, Andrea.«
»Ganz gewiß«, sagte Andrea ernst. »Wir können hier für ihn nichts tun?«
»Nichts. Nicht das mindeste. Erst müssen wir ihn nach oben schaffen.« Mallory richtete sich auf und spähte trostlos an der senkrechten Kaminwand empor. »Wenn ich auch, weiß der Himmel, nicht sehen kann, wie –«
»Ich werde ihn 'raufbringen.« Andrea verriet in diesen Worten nicht, daß das ein Entschluß der Verzweiflung war und er sich damit eine fast unglaubliche Kraftleistung zumuten mußte. Er gab nur nüchtern seine Absicht bekannt, im
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