Die Kanonen von Navarone
Ton eines Mannes, der in seine Fähigkeit, einem Versprechen die Tat folgen zu lassen, noch nie Zweifel gesetzt hat. »Wenn du mir helfen willst, ihn hochzuheben und ihn mir auf den Rücken zu binden …«
»Mit diesem Bein, das bloß noch an einem Hautfetzen und zerrissenen Muskeln hängt?« widersprach Mallory. »Stevens hält nicht mehr viel aus. Er wird sterben, wenn wir das machen.«
»Wenn wir's nicht machen, stirbt er«, murmelte Andrea.
Mallory blickte sekundenlang stumm auf Stevens hinab, dann nickte er schwer in der Dunkelheit. »Wenn wir's nicht machen, stirbt er«, gab er wie ein Echo müde zurück. »Ja, wir werden es tun müssen.« Er stieß sich von der Wand ab, rutschte weiter am Seil hinab und stellte einen Fuß fest in die Spalte unten am Kamintrichter, dicht unter Stevens' Körper, schlang sich das Seil mehrmals um den Leib, blickte nach oben und fragte gedämpft: »Fertig, Andrea?«
»Fertig.« Andrea bückte sich, schob seine großen Hände unter Stevens' Achseln und hob ihn kraftvoll, aber langsam an, während Mallory von unten nachhalf. Ein paarmal, bevor sie ihn oben hatten, kam ein tiefes, qualvolles Stöhnen aus seiner Kehle, langgezogene bebende Schmerzenslaute, daß es Mallory schauderte. Aber schon war das lose baumelnde, verdrehte Bein aus seiner Reichweite, und Andrea hielt Stevens wie ein Kind im Arm, wobei der Kopf mit dem blutenden, maskenhaft starren Gesicht, vom Regen besprüht, grotesk nach hinten fiel, trist und ohne Leben, wie der Kopf einer zerbrochenen Puppe. Nach wenigen Sekunden war Mallory neben ihnen und band Stevens sachverständig mit dem Seil die Handgelenke zusammen. Er fluchte leise, während seine abgestorbenen Hände die Schlinge formten und zuzogen. Er merkte kaum, daß er fortwährend erbittert fluchte, denn er achtete nur auf den zerschundenen Kopf, der wackelnd wie der eines Irren gegen seine Schulter schlug, sah nur das quellende, vom Regen verdünnte Blut über das emporgewandte Gesicht rinnen und das Haar, das am Rand der Schläfenwunde dunkelblond hervorkam, da die Farbe in der Nässe auslief. ›So eine schundige Schuhcreme dafür zu nehmen‹, dachte er wütend. ›Das kriegt Jensen noch zu hören – hätte einem Mann das Leben kosten können!‹ Und dann, als ihm bewußt ward, an was für nebensächliche Dinge er jetzt denken konnte, beschimpfte er noch heftiger sich selbst.
Andrea, der beide Hände frei hatte – Stevens' zusammengebundene Arme waren ihm um den Hals gelegt, sein Körper ihm auf dem Rücken gebunden – brauchte kaum eine halbe Minute, den Kamin zu ersteigen. Mallory schien es bei der Schnelligkeit und Kraft, mit der Andrea kletterte, als ob die anderthalb Zentner totes Gewicht, die er trug, ihn überhaupt nicht behinderten. Die Ausdauer dieses Mannes war einfach unglaublich. Einmal nur gab Stevens, als Andrea mit ihm über den Klippenrand kroch und das gebrochene Bein hinter einen Stein hackte, daß der entsetzliche Schmerz sogar die wohltätige Hülle der Ohnmacht zerriß, einen kurzen, gepreßten Laut von sich und ein heiseres, blasiges Röcheln, das, weil er es unterdrücken wollte, gräßlicher klang als ein wilder Aufschrei. Und schon stand Andrea auf den Beinen, Mallory trat hinter ihn und schnitt rasch die Seile entzwei, die Stevens an ihn gefesselt hatten.
»Bring' ihn bitte gleich zwischen die Felsen da«, flüsterte er Andrea zu. »Warte auf uns am nächsten freien Platz, von hier aus.«
Andrea nickte langsam, ohne den Kopf zu erheben, denn er betrachtete, scheinbar in Gedanken versunken, den in seinen Armen ruhenden Stevens. Und ganz unbeabsichtigt horchte auch Mallory auf das dünne, einsame Ächzen des Windes, und vermochte nichts anderes zu sehen und zu spüren als dieses anschwellende und abklingende Klagelied und die Kälte des Regens, der sich zu eisigem Schneehagel verhärtete. Er erschauerte, ohne zu wissen, warum, und horchte weiter. Dann schüttelte er sich ärgerlich, ging kurz entschlossen zum Klippenrand und begann das Seil heraufzuholen. Als er es ganz oben hatte und das Knäuel, vom Regen durchnäßt, schlaff zu seinen Füßen lag, fiel ihm ein, daß unten im Kamin noch das Steigeisen saß, an dem das andere lange Seil bis zur Meeresfläche herabhing.
Er war jetzt so ermattet, so durchfroren und deprimiert, daß er nicht einmal Ärger auf sich selbst empfinden konnte. Der Anblick von Stevens und dessen Zustand hatten ihn mehr erschüttert als er sich eingestehen mochte. Beinah mürrisch stieß er
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