Die Kanonen von Navarone
an der Schulter berührst, und das hat er mir wohl nicht geglaubt.«
»Sie hätten wenigstens husten können oder sowas«, sagte Miller in schwachem Protest. »Es sind meine Nerven«, fügte er klagend hinzu, »vor achtundvierzig Stunden waren die noch besser.«
Mallory sah ihn prüfend an, ob er das ernst meinte. Er wollte etwas sagen, hielt aber inne, als er das bleiche Gesicht bemerkte: Stevens' Kopf, der an einen Rucksack gelehnt war. Unter dem dicken weißen Verband auf der Stirn waren die Augen geöffnet und blickten ihn fest an. Mallory ging näher zu ihm und ließ sich auf ein Knie nieder.
»Sind Sie endlich wieder zu sich gekommen!« Er blickte lächelnd in das eingesunkene pergamentgraue Gesicht, und Stevens erwiderte das Lächeln mit blutlosen, noch bleicheren Lippen, ein gräßliches Bild.
»Wie fühlen Sie sich, Andy?«
»Ganz gut, Sir. Wirklich ganz gut.« Die blutunterlaufenen Augen waren dunkel, von Schmerz erfüllt. Er senkte den Blick, stierte ausdruckslos auf sein verbundenes Bein, dann lächelte er wieder Mallory an. »Mir tut das alles so furchtbar leid, Sir. So etwas Blödes von mir, eine Schande!«
»Es war nicht blöde«, sagte Mallory langsam, mit schwerer Betonung. »Es war eine verbrecherische Dummheit.« Er wußte, daß alle ihn beobachteten, aber Stevens nur Augen für ihn hatte. »Verbrecherische, unverzeihliche Dummheit«, fuhr er ruhig fort, »und der Schuldige bin ich! Ich hatte zwar den Eindruck, daß Sie auf dem Boot schon viel Blut verloren hatten, wußte aber nichts von den großen offenen Wunden an Ihrer Stirn. Und das hätte ich erst feststellen müssen.« Er lächelte verzerrt. »Sie hätten hören sollen, was diese beiden Sklavenseelen mir vorgeworfen haben, als sie oben ankamen! Und die hatten recht. Ich hätte nie Ihnen den Auftrag geben dürfen, die letzten Sachen heraufzubringen, in Ihrem Zustand. Das war Wahnsinn.« Er lächelte wieder. »Wir hätten Sie wie einen Sack Kohlen heraufziehen müssen, so wie die kühnen Bergsteiger Mr. Miller und Brown … Nur Gott weiß, wie Sie das überhaupt schaffen konnten, und Sie selber werden es nie wissen.« Er beugte sich vor und berührte Stevens' gesundes Knie. »Verzeihen Sie mir, Andy. Ehrlich gesagt: ich habe mir nicht klargemacht, wie erledigt Sie waren, ich konnte mir das einfach nicht vorstellen.«
Stevens bewegte sich verlegen, aber unter der tödlichen Blässe seiner Wangen mit den hohen Backenknochen erschien vor Freude ein wenig Rot.
»Bitte, Sir, sprechen Sie nicht so«, bat er, »es ist eben passiert und nicht zu ändern.« Er machte eine Pause, kniff die Augen fest zu und zog scharf den Atem durch die Zähne, da ihm von seinem zerschmetterten Bein der Schmerz in Stößen durch den Körper fuhr. »Und für das Klettern verdiene ich nicht das kleinste Lob«, fuhr er, wieder ruhig, fort. »Ich kann mich kaum noch erinnern.« Mallory blickte ihn an, ohne zu sprechen.
»Bei jedem Schritt nach oben hatte ich Todesängste«, sagte Stevens schlicht. Er wunderte sich nicht im geringsten, daß er jetzt etwas aussprach, was er sonst um keinen Preis ausgesprochen hätte. »In meinem ganzen Leben habe ich mich nie so gefürchtet.«
Mallory wiegte langsam den Kopf, wobei die Stoppeln an seinem in die Hand gestützten Kinn einen kratzenden Laut gaben. Er schien vor einem Problem zu stehen. Dann blickte er wieder Stevens an und lächelte etwas spöttisch.
»Nun weiß ich, daß Sie in diesem Spiel wirklich ein Neuling sind, Andy. Meinen Sie denn, ich hätte beim Klettern an dieser Klippe dauernd gelacht und gesungen? Denken Sie vielleicht, ich hätte keine Angst gehabt?« Er zündete sich eine Zigarette an und betrachtete Stevens durch den schwebenden Rauch. »Na, die hatte ich auch nicht. Angst ist nicht der rechte Ausdruck – ich fürchtete mich bis ins Mark! Und Andrea nicht minder. Wir wissen zuviel, um keine Angst zu haben.«
»Andrea?« Stevens lachte, dann schrie er kurz auf, da die Bewegung einen knirschenden Schmerz in den zerschmetterten Knochen auslöste. Einen Moment meinte Mallory, er sei ohnmächtig geworden, doch Stevens sprach sogleich wieder, seine Stimme klang heiser vor Schmerzen. »Andrea!« flüsterte er. »Der, und Angst! Das glaube ich nicht.«
»Andrea hatte Angst«, sagte der riesige Grieche ganz weich. »Andrea hat auch jetzt Angst, und hat sie immer. Deshalb bin ich solange am Leben geblieben.« Er betrachtete seine großen Hände. »Und deshalb sind so viele gestorben, weil sie nicht soviel
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