Die Kanzlerin - Roman
mögliche EU-Beitritt der Türkei, auch wenn das sowohl Innenminister Eisele als auch Aussenminister Schiller anders sehen mochten.
Es klingelte. Ihr Fahrer wartete. Die Kanzlerin setzte sich auf den Rücksitz und griff sich die Bild. Mysteriöser Tod von zwei Personenschützern: Ist das Leben unserer Kanzlerin in Gefahr? Der Artikel war wenig aufregend, orientierte sich im Wesentlichen an den Fakten und beschrieb eine Kanzlerin, die »von der Tragödie tief betroffen« sei, darum vorerst keine Stellungnahme abgeben wolle und den Angehörigen ihr Beileid ausgesprochen habe – was ihre Büroleiterin Frau Heidenreich hoffentlich nicht vergessen hatte.
B aptist de la Mare hatte weder Zeit noch Lust, sich mit Pils zu treffen. Denn lange würde der nicht mehr Boss der Sozialdemokraten sein, aber nachdem ihm seine Frau dazu geraten hatte, entschloss sich de la Mare trotzdem, auf den überraschenden Vorschlag von KaHa einzugehen. Pils war angeblich ganz zufällig in der Nähe von Saarbrücken, und so wurde ein Treffen an einer Autobahnraststätte in Lothringen vereinbart. Pils sass schon dort und ass eine Pizza, was de la Mare beinahe dazu bewogen hätte, das Lokal sofort wieder zu verlassen.
»Baptist, ich bin nicht gekommen, um das Kriegsbeil zu begraben, sondern weil ich von dir ein klares Signal brauche, wenn du – wie von dir behauptet – irgendein Interesse daran hast, die Wiederwahl der Kanzlerin im nächsten Jahr zu verhindern und dazu einen auch eigenen Beitrag zu leisten.« Pils konnte nicht reden, er ging mit der Grammatik um wie mit der Politik: kenntnislos, achtlos, respektlos.
»KaHa, ich bin gekommen, um zu hören, was du mir zu sagen hast, und nicht um Signale zu senden. Wenn deine Sozialdemokraten am Verhungern sind, dann tut mir das zwar leid, aber mästen wird die Linke diese SPD nicht. Was willst du von mir?«
»Ich will von dir persönlich gar nichts, Baptist. Aber da du nun mal, auf hoffentlich absehbare Zeit, der Kopf der – ich sage das ganz bewusst auch jetzt ganz offen gegenüber dir – da du der Kopf dieser sogenannten neuen Linken bist, Baptist, müssen wir jetzt miteinander reden. Und nicht erst nach der Wahl.«
»Ich könnte jetzt ja auch von den sogenannten Sozialdemokraten reden, KaHa, also von dem, was von Sozialdemokratie noch übrig geblieben ist, nachdem ich diese Partei verlassen habe, aber lassen wir diese Spielchen. Was willst du von der Linken wissen, vor der Wahl?«
»Du willst wieder an die Macht, Baptist, und nicht nur im Saarland.«
»Und du verlierst die Macht, KaHa, jeden Tag ein Stückchen mehr.«
»Ohne die Sozialdemokraten kannst du nicht regieren, Baptist, nicht im Saarland und nicht im Bund.«
»Wer sagt, dass ich im Bund regieren will?«
Pils biss in seine Pizza, Baptist bestellte sich ein Glas Rotwein, und Pils wusste plötzlich nicht mehr, was er eigentlich sagen wollte. Genossen hatten ihn zu diesem Gespräch gedrängt, auch wenn alle wussten, dass das nichts bringen würde. Aber nun sass er am Tisch mit ihm, und Baptist sah ihn an wie ein Insekt.
»KaHa, ich hoffe, es schmeckt dir.«
»Du verachtest mich, Baptist, aber das ist mir egal. So etwas stört mich nicht. Das läuft an mir runter wie warmes Bier.«
»Ich glaube nicht, KaHa, dass wir dem Gespräch eine persönliche Note geben sollten. Und wenn es zur Sache selbst nicht mehr zu sagen gibt, dann bezahle ich jetzt.«
Karl-Heinz Pils wusste, dass er jetzt nur noch einen Satz hatte, und der musste sitzen. »Also sehen wir uns die Situation doch einmal ganz sachlich an, Baptist. Du hast sehr viel Erfolg, derzeit. Aber sollte es der Kanzlerin gelingen, nach der Wahl mit den Liberalen zu regieren, womöglich zusammen mit den Grünen, dann hast du ausgespielt.«
»Ich bin nicht die Linke, KaHa, ich bin ein Linker. Und ebendas unterscheidet uns, und ebendarum macht es keinen Sinn, derzeit mit den Sozialdemokraten zu reden. Die Linke ist kein vorübergehendes Phänomen. Sondern diese Linke wächst, und die SPD schrumpft, und du bist der Schrumpfkopf dieser Partei.«
»Beleidigen lassen werde ich mich nicht«, sagte Pils und ass weiter.
»Die Linke ist auch nicht beleidigt, wenn der sogenannte Chef der Sozialdemokraten von der sogenannten Linken spricht.«
Pils nahm einen Schluck und sagte: »Die Sozialdemokratenhaben – in mehreren Bundesländern – bewiesen, dass sie bereit und fähig sind, mit der Linken zu regieren. Auf Bundesebene aber muss die Linke beweisen, dass sie fähig ist, mit
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