Die Kanzlerin - Roman
der SPD zusammenzugehen.«
»Schon nach der Bundestagswahl?« De la Mare war jetzt hellwach.
»Das habe ich nicht gesagt, ich rede prinzipiell.«
»Und ich habe prinzipiell keine Lust, Prinzipielles mit dir zu bereden, KaHa. Wenn du Konkretes hast, dann hör ich dir zu, sonst bezahle ich jetzt.«
»Von den handelnden Personen einmal abgesehen«, sagte Pils, »die Linke hat kein Programm. Und sie will Geld verteilen, das der Staat nicht hat. Und sie weigert sich, internationalen Verpflichtungen nachzukommen, die Deutschland nun einmal hat. Mehr Probleme aber sehe ich nicht, Baptist. Das ist nicht zu viel verlangt, wenn die SPD dir sagt: Das sind die Punkte, die korrigiert werden müssen.«
»Punkt für Punkt geht man eine Sache durch, wenn etwas entschieden ist und man daraus die praktischen Konsequenzen zu ziehen hat. Wenn es aber um Vorleistungen gehen sollte, KaHa, dann ist es die SPD, die sie zu erbringen hat. Und im Übrigen, damit du dir da keine falschen Vorstellungen machst: Ich fühle mich sehr wohl im Saarland. Und wenn die Linke einmal in der Hälfte aller Bundesländer regiert, dann bist du nicht mehr Chef der Sozialdemokraten, und dein Nachfolger wird sofort auf den Punkt kommen.«
»Es ist das erste Mal seit vielen Jahren«, sagte Pils, »dass wir wieder miteinander reden.«
»Was du nicht an die grosse Glocke hängen wirst, KaHa, dieses Gespräch hat es nie gegeben.«
Pils hatte seine Pizza verschlungen und schaute Baptist ins Gesicht. »Du zeigst nie deine Gefühle.«
»Gefühle haben in der Politik nichts zu suchen.«
»Doch«, sagte Pils, »weil wir immer noch Menschen sind, die diese Politik machen.«
»Meine Gefühle haben dich nicht interessiert, Pils, als Schröder mich zum Hampelmann machen wollte.«
»Alte Zeiten, böse Zeiten, mag sein, Baptist, aber es ging damals nicht um dich. Und wenn du das tatsächlich glauben solltest, dann geht es dir wirklich nur um dich und nicht um die Sache.«
Baptist nannte drei Zahlen. Die erste: die hohe Mitgliederzahl der SPD zu seinen Zeiten. Die zweite: die mickrige Mitgliederzahl der SPD zu Pils’ Zeiten. Und die dritte Zahl war die Rechnung, die Baptist bezahlte. Er grüsste und ging.
Pils schaute ihm nicht nach. Er sass in der Falle. Und das wussten die linken Genossen ebenso wie die rechten. Und zerquetschten ihn. Manchmal bekam er einfach keine Luft mehr. Er war kein Tor, und er war kein Tölpel. Und vor allem: Er hat vergleichsweise wenig Dreck am Stecken. Doch das zählte nicht in Berlin. Und auch die Logik zählte nur wenig. Und logisch war, dass er nicht alle Türen offenhalten konnte. Avancen an die Liberalen und die Linke? Wenn es brennt, kann man nicht alle Türen offenhalten, dachte Pils, und dass es brannte, daran zweifelte er nicht. Wenn es brennt, kann man aber auch nicht alle Türen schliessen. Auch das dachte Pils, bevor er eine zweite Pizza bestellte.
Vielleicht hatte de la Mare eine reinere Lehre als er und vielleicht sogar auch ein reineres Gewissen. Aber hatte er auch ein Herz? Zwar schwitzte de la Mare wie Pils, wenn er am Rednerpult stand und alle »besoffen redete«, wie Bild das treffend kommentiert hatte. Aber wäre er ein Mann gewesen, dann hätte er das Herz gehabt, mit ihm auch ein offenes Wort zu reden. Pils hasste es, in den Krieg zu ziehen. Und diese Bundestagswahl, das war ein Kriegsschauplatz. Was er verhindern wollte, von Mann zu Mann.
Pils hasste es auch, traurig zu sein. Aber jetzt war er traurig. Ein Mann mit Herz, aber ein trauriger Mann.
» F rau Male Jenny, die Sonne geht auf, und ich geh unter. Du schweigst. Warum? Ich möchte ein Foto von dir.«
Loderer spürte sich nicht. Er hatte sich rasiert und dabei in müde Augen gesehen. Er fuhr sich durch die Haare, die immer dünner wurden, und blickte in ein Gesicht, das lange nicht mehr gelächelt hatte. Er stand nackt im Badezimmer und betrachtete seinen Körper, als ob er damit nichts zu tun hätte. Er zog sich ein neues Hemd an, an dem ein Knopf fehlte, und suchte sich ein anderes. Dann schaute er in die Webcam und drückte ab. Controller, Foto 1. Und drückte ab. Controller, Foto 2. Und drückte noch einmal ab und schaute auf die Gesichter, die er für Frau Male gemacht hatte. Aber zuerst wollte er ihr Gesicht sehen.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Controller, ich küsse dich und drück mich an dich, bettwarm noch, und mach mir jetzt einen Kaffee. Kannst du warten, oder möchtest du dich sofort ausdrücken?«
»Warte nicht gern, aber ich
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