Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
Vom Netzwerk:
verabschieden würden. Sondern sogar irgendwie passend.«
    »Für verabschieden gibt es elf Synonyme.«
    »Was kann ich also sagen, um Ihnen adieu zu sagen, Herr Kranich?«
    »Ich zieh ’nen Kreis.«
    »Herr Kranich, ich glaube, Sie laufen hier im Kanzleramt gedopter herum als unsere Olympioniken. Nur dass Sie etwas länger brauchen über die hundert Meter und keine Medaille mit nach Hause bringen. Aber vielleicht können Sie, bevor ich meinen Kreis ziehe, noch einen Schluss aus all dem ziehen, was Sie mir da so diffus vorgetragen haben. Was stimmt nicht in unserer Gesellschaft?«
    »Es gibt Raubritter«, sagte Kranich. »Es gibt nicht viele von denen da oben, aber sie reiten auf den Köpfen der Menschen und rauben sie aus und sahnen ab, völlig hemmungslos. Aber auch die kleinen Leute haben keine Hemmungen mehr und fressen denStaat von unten her auf. Die Portionen sind klein, aber es sind viele, die sich gratis bedienen.«
    »Herr Kranich, es hat in jeder Zeit solch dekadente Erscheinungen gegeben, und die Politik muss manchmal korrigierend eingreifen.«
    »Um Politik geht es schon lange nicht mehr, auch den Politikern nicht.«
    »Wie meinen Sie das, Herr Kranich?«
    »Es geht um Geld und Macht und sonst um nichts. Und wir leben in einer Gesellschaft, in der die Rücksichtslosen belohnt werden, die Egoisten. Oben kassieren wenige verdammt viel ab und unten viele wenig. Aber das läppert sich. Wer aber für diese Gesellschaft arbeitet, rutscht ab und bleibt erfolglos. Eine Gesellschaft, die das Asoziale honoriert und das Soziale bestraft, ist eine kranke Gesellschaft und hat keine Überlebenschance.«
    »Herr Kranich, raten Sie mir dazu, mit auf den Säntis zu gehen?«
    Kranich zögerte. Und sagte dann: »Ich stehe an der Leiter, / Die in die Grube führt. / Und reich der Erde weiter / Das Herz, das ihr gebührt.«
    »Von wem ist das, Kranich?«
    »Von Klabund.«
    »Klingt eher unheimlich, finden Sie nicht? Herr Kranich, Sie kommen mit. Ich will Sie dabeihaben. Für den Moment aber entschuldigen Sie mich, ich zieh ’nen Kreis.«
    Kranich wollte gehen.
    »Ich bin nicht machthungrig, Herr Kranich. Nur hungrig. Ich bin ein neugieriger Mensch. Und ich war immer offen, für alles. Es hat sich alles so ergeben. Und nun ist es so. Und dafür schäme ich mich nicht. Und das Volk ist auch nicht wütend auf mich.«
    »Weil Sie die Sissi-Rolle spielen. Oder Katharina die Grosse sein könnten.«
    »Das möchte Wladimir von mir ganz sicher nicht hören, Herr Kranich. Und kitschig bin ich auch nicht.«
    »Das Volk ist nicht wütend, weil es nichts zu sagen hat, Frau Kanzlerin. Sondern weil jene, die angeblich etwas zu sagen haben, so ohnmächtig sind wie die Leute. Und das, Frau Kanzlerin, das wird Ihnen nicht verziehen. Alles andere vielleicht, aber diese Ohnmacht nicht. Und darum geht den Leuten die Politik am Arsch vorbei.«
    »Herr Kranich, völlig unabhängig davon, ob das eine zutreffende Aussage ist, was ich bezweifle – eine angemessene Ausdrucksweise ist das nicht. Aber eine Frage hab ich noch: Geld – was sagen die Sprachnudler dazu?«
    »Scherben«, sagte Kranich, »Lack und Ich-Ade.«
    »Ich-Ade?«
    »Das können Sie nicht verstehen?«
    Die Kanzlerin schwieg, und er sagte: »Klabusterbeeren.«
    »Für Kohle?«
    »Der Beispielsatz lautet: Scheisse an des Arsches Härchen nennt man auch Klabusterbeerchen.«
    »Kranich, die Unterhaltung ist beendet.«
    »Wenn die Klabusterbeeren klimpern, dann wird Wintern. Und: Wenn sich Klabusterbeeren mehren – scheren.«
    »Herr Kranich, ich schlage vor, dass Sie jetzt nach Hause gehen, sich ins Bett legen, ein paar Stunden schlafen und dann wieder ins Amt kommen.«
    »Die Wut ist gross«, sagte Kranich, »und der Beispielsatz heisst: Ich habe 180 Grad unter dem Hut.«
    »Dann regeln Sie jetzt endlich Ihre Finanzen, Kranich, und hören Sie auf damit, sich Ihre Nase zu pudern.«
    »Ich-Ade«, sagte Kranich und ging.

P lötzlich blieb die Zeit stehen. Die Kanzlerin war erstaunt. Jetzt war sie also doch stehengeblieben. Der Sekundenzeiger auf der Tischuhr ruckelte noch zwei-, dreimal, dann stand er still, und es war, als ob er mitten in einer Schwingung getroffen worden wäre und nun reglos harren musste. Bald 9 Uhr 30. Besprechung mit Brack, Frontzeck und Birnbaum.
    »Frau Heidenreich, vertrösten Sie die Herren bitte um ein Viertelstündchen, und bitte bringen Sie mir zwei Batterien für die Uhr.«
    Weil keine Antwort kam, schaute die Kanzlerin bei Frau Heidenreich rein. Sie

Weitere Kostenlose Bücher