Die Kanzlerin - Roman
Terror in Verbindung bringen – was ich im Übrigen so nie gesagt habe …«
»Gibt es Hinweise auf internationale Vernetzungen?«, fragte Dexter Flimm.
»Erstaunlicherweise ist im Augenblick davon auszugehen, dass es sich um ein rein deutsches Phänomen handelt, was mich ja zu diesem vielleicht etwas missglückten Vergleich gebracht hat mit Wodka beim Münchner Oktoberfest. Aber eine Bedrohungslage, erzeugt von Anarchisten, das gab es bislang vielleicht in Italien oder auch in Frankreich, in Russland und vor allem in Staaten, die nicht in sich gefestigt sind, auf Kontinenten wie Afrika, Gebieten, in denen es an Polizeistrukturen fehlt und marodierende Banden …«
Eisele räusperte sich. »Als politisch denkender Mensch fällt es mir immer schwer, es mit Leuten zu tun zu haben, die frei sind von politischen Motiven. Also frei von Machtstreben. Und überdies leben wir ja bekanntlich in einem Land und namentlich in einer Metropole, in der es jeden Tag Partys gibt, für Partygänger aller Couleur. Was wollen diese Leute, Herr Wagenbach? Die Lust, Randale zu machen, ist ja wohl nicht vergleichbar mit dem, was Sie uns hier geschildert haben. Und warum haben die Medien noch nicht darüber berichtet? Und wie kommen Sie zu derAnnahme, dass Gewalttaten aus dieser Ecke drohen? Gewalt aus purer Lust an der Freud – Kriminalisten haben das bislang immer als absolute Ausnahme bezeichnet.«
»Viele Fragen auf einmal«, sagte Dexter Flimm. »Und vielleicht, Herr Minister Eisele, wäre die entscheidende Frage eben doch eine politische, nämlich: Angenommen, wir haben es tatsächlich mit den Anfängen einer Verschwörung zu tun, in der es keinen ideologischen Kern gibt und keine konkrete Zielsetzung, also auch nicht die, alte Machthaber durch neue abzulösen – dann würde sich daraus doch die Frage ergeben, was das für eine Gesellschaft ist, die den Nährboden bildet für ein so diffuses, um nicht zu sagen irrlichterndes Verhalten.«
In politischen Fragen liess Eisele sich nicht gern belehren oder gar sagen, dass er den wesentlichen Ansatzpunkt möglicherweise verkannte. »Dass immer mehr Leute ausrasten, ist mir bekannt«, sagte er. »Und dass die Anlässe dafür immer nichtiger werden, auch. Bis dato waren das Erscheinungen, die wir in der Jugendszene beobachten konnten, bei sozialen Randgruppen, bei notorisch Kriminellen. Aber nicht bei Bürgern, die gefrustet sind, weil die Benzinpreise steigen oder die Wohnungsmieten oder weil ihnen eine höhere Erbschaftssteuer droht.«
»Ich glaube nicht«, sagte Dexter Flimm, »dass wir es hier mit einem rein deutschen Phänomen zu tun haben, aber die vordringliche Frage lautet ja: Was können unsere Dienste, was kann das BKA tun? Weil ja, wie Sie sagen, Herr Wagenbach, sich das alles momentan offenbar nur im Netz kundtut, was Sie beobachten. Oder gibt es auch andere Quellen und Erkenntnisse?«
»Die Erkenntnisse wird es spätestens dann geben, wenn das, was einzelne Individuen uns im Internet androhen, realisiert werden sollte – wenn ich das einmal so ausdrücken darf«, sagte Wagenbach, »auch wenn diese Bemerkung eher unsere derzeitige Hilflosigkeit ausdrückt, also nicht polemisch gemeint ist.Tatsächlich braut sich da über uns etwas zusammen, was nach Blitz und Donner aussieht, aber vor dem ersten Gewitter stehen wir da wie Wetterpropheten, die vor strahlend blauem Himmel eine Sonnenfinsternis beschwören.«
»Ich schlage vor«, sagte der Innenminister, »dass wir, und zwar möglichst schnell und in Zusammenarbeit aller Dienste, eine Art Raster erstellen und mit einem Plan operieren, der möglichst offen ist für Erkenntnisse und Entwicklungen aller Art. Ich gebe zu, dass ich einigermassen ratlos bin, weil es doch einen Unterschied macht, ob unzufriedene Bürgerinnen und Bürger einem de la Mare ihre Stimme geben oder diesen Staat ins Chaos stürzen wollen. Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Wagenbach, dann geht es den Anarchos eben darum: chaotische Zustände zu schaffen, womit sie dann einen – zumindest geschichtlich betrachtet – politischen Hintergrund hätten für ihre Absichten.«
»Es geht«, sagte Wagenbach, »eben nicht nur um Politikverdrossene. Zu den Anarchos zählen sich auch Menschen mit Liebeskummer. Oder Leute, die im Urlaub ein Hotel mit Baulärm gebucht haben. Um Studenten, die eine Prüfung wiederholen müssen. Um Berliner Lehrer, die in der Metropole keine Stelle finden, aber in Köln nicht unterrichten wollen, obwohl sie dort
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