Die Kanzlerin - Roman
Flimm war eine rechte Hand, die auch mal die Faust machte und zuschlug, wenn das nötig war. Unzimperlich und mit dem Ruf, ein Macher zu sein – möglichst nah bei der Macht. Eisele sah darin nichts Ehrenrühriges, und Flimm hatte sein Vertrauen von Anfang an gerechtfertigt. Keiner seiner Vorgänger, der sich nicht schwarzgeärgert hatte über die Tatsache, dass es in Deutschland drei hochprofessionelle Geheimdienste gab plus ein Bundeskriminalamt, das auf ähnlich hohem Niveau agierte, wobei die Dienste miteinander auf eine fast schon kindische Art und Weise konkurrierten.
Da wurden nicht nur mögliche Synergien nicht genutzt, sondern die Dienste hatten sich in der Vergangenheit Gefechte um Zuständigkeiten geliefert, die letztlich allen drei geschadet hatten: dem Verfassungsschutz, also dem Inlandsnachrichtendienst, für den Eisele direkt zuständig war, dem Militärischen Abschirmdienst MAD und dem BND, dem Auslandsgeheimdienst, der unter den Fittichen von Kanzleramtschef Haxer stand, theoretisch jedenfalls. Praktisch aber konnte der Kanzleramtschef seine Rolle als Geheimdienstkoordinator, der er überdies war, gar nicht spielen, weil ihm die wesentliche Voraussetzung dafür nämlich fehlte: Dienste, die den Koordinator auch informieren. Stattdessen bekämpften sie sich, und es kam in der Folge zu Pannen, für die sich Eiseles Vorgänger jeweils öffentlich zu schämen hatten.
Das würde ihm, Eisele, nicht passieren, und darum hatte er Dexter Flimm zum Staatssekretär gemacht. Einer, der die Läden kannte und der völlig unsentimental umging mit seiner eigenen Vergangenheit als Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Es war Flimm gelungen, die Terrorismusabteilungen des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes in die Hauptstadt zu holen, fast unter ein gemeinsames Dach. Sehr zum Ärger von Geheimdienstkoordinator Haxer, der sich vor seinen total frustrierten Auslandsgeheimdienst stellen musste, der fürchtete, künftig nur noch eine marginale Rolle zu spielen.
Dexter Flimm hatte sich viele Feinde gemacht, und dass es darunter auch Todfeinde gab, das erfuhr er bei einer Besprechung, zu der Innenminister Eisele ihn und den Leiter der Verfassungsschutzabteilung 2, zuständig für rechts- und linksextremistische Aktivitäten, eingeladen hatte: Luzius Wagenbach. Ein stattlicher Mann, leider nicht immer vorurteilsfrei, aber unbestritten ein Kenner der Materie. Dass der Versuch, V-Leute in die rechtsextremistische Szene einzuschleusen, um einschlägige Gruppierungen mit Hilfe dieser Informationen verbieten zu können,fehlgeschlagen war, das war nicht seine Schuld, sondern sozusagen die Konsequenz des Rechtsstaates. Um diese Operation weiterzuführen, mussten die Namen der V-Leute geheim gehalten werden, mit der Konsequenz, dass das höchste Gericht im Land offensichtlich verfassungsfeindliche Gruppierungen nicht verbieten wollte, weil es in einer Demokratie keine Geheimjustiz geben darf.
Aber um dieses Thema ging es Eisele jetzt nicht und Luzius Wagenbach auch nicht. Er hatte Eisele um das Treffen gebeten, und eigentlich sollte auch Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator Haxer daran teilnehmen. Doch der war verhindert, und Eisele machte seinem Ärger darüber schon zu Beginn der Besprechung Luft: »Herr Haxer ist leider verhindert, was ich sehr bedaure, obwohl ich den Grund nicht kenne, aber er wird wohl wichtig genug sein. Luzius Wagenbach hat Informationen, die absolut vertraulich sind und über die ich Herrn Haxer gegebenenfalls selbst unterrichten werde, zu einem passenden Zeitpunkt, also wenn er einmal Zeit und Musse hat. Herr Wagenbach, ich möchte Ihnen die Pointe nicht wegschnappen … ich bin von Ihnen darüber informiert worden, dass es beim Verfassungsschutz Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich Deutschland einer neuen Bedrohungslage ausgesetzt sieht, über die wir erst einige wenige, dafür aber umso gravierendere Anhaltspunkte haben. Herr Wagenbach, bitte.«
»Das Phänomen, auf das die Abteilung 2 des Verfassungsschutzes in den vergangenen Monaten gestossen ist, passt eigentlich zu Deutschland so gut wie Wodka zum Münchner Oktoberfest. Was ich damit sagen will: Als Verantwortlicher für rechts- und linksextremistische Bedrohungen bin ich zuständig für Bereiche, die einigermassen klar umrissen, also auch klar zu beschreiben, zu beobachten und zu verfolgen sind. Das gilt nun aber leider nicht für das, worüber hier zu berichten ist. In Deutschland ist in sehr kurzer Zeit offenbar
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