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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Beziehungen zu pflegen.« Und dass es darum bei den Medien »gefestigte Persönlichkeiten« brauche, die »klug abzuwägen« wüssten, wie weit man gehen könne bei der Pflege von »Beziehungen«.
    Axel Nickel ging auch durch den Kopf, was der langjährige Spiegel- Chefredakteur Erich Böhme jüngst in einer Talkshow über die jahrzehntelangen Spannungen zwischen dem Magazin und Franz Josef Strauß verraten hatte: dass er sich jeden Montag, nach Erscheinen des Spiegels, bei Franz Josef Strauß gemeldet habe. Oder umgekehrt. Ein Meinungsaustausch, von dem die Leserschaft damals nie erfahren hatte. Kluge Beziehungen, dachte Nickel und stand vor dem Parktor.
    Er war drei Minuten zu spät und irritiert, weil es im Park zwei Sandkästen gab.
    »Hallo, DINA4, geiles Outfit«, sagte jemand hinter ihm, doch bevor er sich umdrehen konnte, sackte er um. Ein Kniekick in den Rücken, der ihm für Sekunden den Atem raubte. Axel Nickel röchelte und spuckte Sand.
    »Wo hast du die Daten abgespeichert, 94,3 rs2?«
    Nickel lag jetzt auf dem Bauch und wollte reden, aber Finger rissen seinen Kopf immer wieder an den Haaren hoch und knallten ihn auf den Boden. Er wollte schreien, doch eine Hand im Nacken riss ihm den Kopf erneut hoch und donnerte ihn auf den Sand. Nickel roch Hundescheisse. Und plötzlich wusste er, dass es um Leben und Tod ging. Mit einer blitzschnellen Bewegung richtete er sich auf und wollte den Angreifer in den Bauch treten. Ein Schlag ins Leere. Dafür ein schrecklich brennender Schmerz zwischen den Beinen. Joker hatte ihm mit einem Kniekick die Eier zerquetscht und seinen Schrei im Sand erstickt.
    Das Erste, was Axel Nickel danach wieder spürte, waren die Ohrfeigen. Wechselseitig links, rechts, mit aller Härte geschlagen. »Berlin«, sagte Joker, »wechselt«, und donnerte ihm seinerechte Hand auf die linke Wange. »Wechselt den Sender«, und klatschte ihm seine geballte Linke auf die rechte Wange. »Und jetzt«, sagte Joker, »stelle ich mich vor. Ich heisse Joker. Und du spuckst nun deine Zähne aus, und dann sagst du mir, wo der verdammte Stick ist.«
    Nickel wollte die Augen öffnen, aber der Sand verbrannte sie. Was Joker auf die Idee brachte, ihm die Kehle so lange zuzudrücken, bis Nickel nach Luft japste. In diesem Augenblick stopfte ihm Joker eine Handvoll Sand in den Mund. Nickel kotzte.
    »94,3 rs2, das ist deine letzte Chance.«
    Nickel wollte reden und sagte: »Ja.« Aber das war nicht zu verstehen. Er bewegte seine linke Hand zur Hosentasche, und Joker griff sofort hinein. »Danke, Süsser. Unter anderen Umständen würde ich dich jetzt küssen, aber du stinkst nach Hundescheisse. Weil du ein Stück Scheisse bist.«
    »Bitte«, sagte Nickel.
    »Gern geschehen«, sagte Joker. »Und nun, du kleiner Stinker, muss rs2 einen kleinen Schnüffler wechseln. Ich knipse jetzt dein kleines Lichtlein aus, und zwar ohne Wechselgeld.«

» A lle sind da«, sagte der Designer und tänzelte um Loderer herum. »Paris ist da, New York ist da, London. Berlin ist wieder da, wo alle sind.«
    Die Hochhäuser umzingelten einen Park, der tagsüber meist menschenleer war, obwohl sich die Stadt viel Mühe gemacht hatte: Kinderspielplätze zwischen allen Gebäuden, Bänke, Wiesen, Feuerstellen. Aber die Kinder kamen nicht, nur Hundebesitzer, nur Hunde, die spielten und pinkelten, und die Ordnungshüter der Stadt kassierten diskussionslos Bussen. Weil theoretisch Kinder mit der Kacke spielen oder Hunde sich an den Feuerstellen die Pfoten verbrennen könnten oder warum auch immer, dachteLoderer. Das letzte Kind war in der Hochhaussiedlung kurz vor dem Fall der Mauer gesichtet worden. Danach wurde Berlin so durchgestylt, dass es zu keinen weiteren solchen Zwischenfällen mehr kam. Wer Kinder hatte, versteckte sie, übergab sie der Krippe oder vergass sie. Oder schlug sie tot. Wenn eine Berliner Zeitung in einer Woche kein Kind auf die Titelseite brachte, das verhungert war, weil seine Mutter sich herumgetrieben hatte, oder das die Mutter im Vollrausch mit dem Kopfkissen erstickt oder in der Tiefkühltruhe verstaut oder angezündet oder aus dem Fenster geworfen hatte, dann hatte diese Zeitung etwas falsch gemacht. Überlebte ein Kind aber wider Erwarten und wurde grösser und kam in die Pubertät, dann wurde es Opfer des Komasaufens. Die Medien sensibilisierten die Öffentlichkeit so erfolgreich, dass die Radiostationen ab einem Alkoholgehalt von 1,1 Promille jeden Vierzehnjährigen vermeldeten, der in Neukölln oder

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