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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Pils durch? Mitleid ist zwar keine politische Kategorie, aber in diesen letzten Wochen habe ich fast schon ein gewisses Mitleid empfunden. Der Arme. Und wie unbeholfen. Sagt vor laufenden Kameras, dass er sich nicht hinter den Baum stellen werde, womit er vermutlich meint, dass er sich nicht verstecken will, aber, Herr Kranich, da hab ich mir spontan vorgestellt, dass er eigentlich pinkeln müsste, was aber eine Mitteilung wäre, die nicht zwingend an die Öffentlichkeit gehört. Und dann lässt er das Präsidium wissen, dass er an keinem Sessel kleben werde, sollte er Teil des Problems sein. Als ihm jedoch ein paar erfreute Genossen prompt den Stuhl unter dem Hintern wegziehen wollten, fühlte er sich missverstanden. So ein kräftiger Mann, auf den ersten Blick. Und so eine Mimose, wenn man noch einen weiteren Blick verschwendet hat. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Sie, Kranich? Oder stecken Sie dann doch lieber in Ihrer Haut, obwohl das ja auch eher unangenehm ist derzeit, was also schon zu bedenken wäre, wenn Sie sich entscheiden müssten.«
    Er schwieg.
    »Da Sie mir diese Frage offenbar nicht beantworten können oder möchten, Herr Kranich, hätte ich da noch eine andere: Wie gefällt Ihnen dieses Handy?«
    »Rot, schön, passt zu Ihnen«, sagte Kranich.
    »Und das Schönste ist, Kranich, dieses Handy wird nie klingeln.« Dass ausgerechnet in diesem Augenblick das alte Handy zwitscherte, schien sie zu amüsieren. Aber dann setzte sie sich, stützte ihren Kopf mit einer Hand und starrte auf die Kurznachricht: »Frau Kanzlerin, im April haben Sie kurzfristig einen Urlaub auf der schönen italienischen Insel Ischia abgesagt, weil die Wetterprognosen sehr ungünstig waren. Sie flogen dann auf eine Kanareninsel und hatten es dort gut. Und nun wollen Sie im August in die schöne Schweiz reisen. Aber die Wetterprognosen für das Säntisgebiet sind ungünstig. Wenn Sie es gut haben wollen, buchen Sie um. Vielleicht Österreich. Denken Sie an die Mozartkugeln. Und an Mozart.«
    »Herr Kranich, mögen Sie Mozartkugeln?«
    »Nicht wirklich«, sagte Kranich.
    »Wenn es eine Redensart gibt, die ich wirklich hasse, Kranich, dann diese: ›nicht wirklich‹. Davon einmal abgesehen, dass es seine Komplexität hat, wenn man von Wirklichkeit spricht – ›nicht wirklich‹ heisst unwirklich. Mozartkugeln aber, um bei diesem Beispiel zu bleiben, kann man nicht unwirklich mögen. Weil, Herr Kranich, es diese Kugeln wirklich gibt, und entweder man mag sie oder nicht. Zu vermuten ist, dass mit ›nicht wirklich‹ im Grunde ›nicht eigentlich‹ gemeint ist oder ›nicht richtig‹. Oder ›nicht so sehr‹, ›nicht sonderlich‹. Und trotzdem kann ich nicht wirklich verstehen, warum man keine klare Haltung haben kann. Und wenn ein Mensch schon unwirkliche Gefühle bei Mozartkugeln entwickelt – welche Haltung wird so ein Mensch ansonsten haben? Ein kluger Kopf hat einmal gesagt: ›Die Wahrheit ist immer konkret.‹ Herr Kranich, wenn mich an Ihnen etwaswirklich stört, dann sind es diese Nebelpetarden. Oder haben Sie mir vielleicht noch etwas Konkretes zu sagen? Zum Beispiel, ob im August auf dem Säntis schönes Wetter zu erwarten ist?«
    »Das lässt sich in Erfahrung bringen«, sagte Kranich.
    »Dann bitte ich Sie höflich darum, dies zu tun.« Die Kanzlerin versank in Gedanken, was ihn verstummen liess. Er sah, dass sie eine Antwort tippte, schnell und bestimmt, dann aber mit der Löschtaste über ihre Zeilen fuhr und sagte: »Nicht jede Frage verdient eine Antwort, was namentlich dann gilt, wenn gar keine Frage gestellt wurde, sondern man allenfalls selbst Fragen hat.«
    Das Stichwort schien Kranich geeignet, noch einmal auf das Sommerinterview zu sprechen zu kommen. »Ich habe mir erlaubt, einen kleinen Fragenkatalog für das Interview auszuarbeiten.«
    »Welches Interview?«
    »Mit dem ZDF, das Sommerinterview.«
    »Sie können mir Ihre sicher sehr wertvollen Anregungen gerne mailen, Herr Kranich, wobei ich mir in diesem Jahr erlauben werde, allenfalls auch Gebrauch zu machen von Ideen eines anderen Kopfes, der mir fast so klar zu denken scheint wie Ihrer. Ich hoffe, dass ich Sie damit nicht beleidige.«
    »Welcher Kopf denkt mit?«, fragte Kranich. »Sie haben es doch die vergangenen Jahre gut gemacht, und mein Kopf war dafür gut genug.«
    »Beleidigte Leberwürste, Kranich, gehören in die Metzgerei und werden dort als Leberwürste ohne besondere Eigenschaften verkauft.«
    »Und was, wenn ich fragen darf,

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