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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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jetzt schon überfrachtet. Es war kein Staatsbesuch, es würde keinen offiziellen Empfang geben, also könnte er das Thema unter Varia platzieren.
    Die Stimmung im Bundesrat war schlecht, und so war auch bei dieser letzten Sitzung auszuschliessen, dass die Magistraten freiwillig noch ein bisschen miteinander plaudern wollten.
    Als Bundeskanzler hatte Klausen zwar die Kompetenz, die Traktandenliste zumindest zu ordnen oder Korrekturwünsche einzelner Mitglieder des Bundesrates anzubringen, aber zaubern konnte er nicht. Er beschloss, die Anfrage aus Berlin mündlich mit Aussenministerin Jaeger vorzubesprechen. Überraschenderweisezeigte sie sich hocherfreut über das Ansinnen der deutschen Kolleginnen und Kollegen, erkundigte sich spontan nach dem geplanten Termin auf dem Säntis, blätterte in ihrer Agenda und sagte: »Das könnte klappen.«
    Um sicherzugehen, klopfte Klausen an die Tür von Bundespräsident Diller, der nicht selten das Bedürfnis hatte, ein paar Worte zu wechseln, auch dann, wenn es nicht um ein Dossier ging.
    »In luftiger Höh.« Ein Gipfeltreffen, Deutschland und die Schweiz auf gleicher Augenhöhe. Das tut beiden Seiten gut, dachte Klausen, und gut ist auch, dass die Deutschen eine deutsche Leitkultur vermissen, aber offenbar nicht wissen, dass die Bundesrepublik für die Schweiz nun schon seit Jahrzehnten die politische Leitnation ist. Was man ihnen nicht sagen sollte, den Deutschen.

T im Boron war aufgebracht, als er das Apartmenthaus, in dem die Kanzlerin wohnte, verliess. Gabriela zickte und blockte ihn ab mit Worten, die ihn verletzt hatten. »Schluss heisst bei mir Schluss, Tim«, hatte sie gesagt. Und Arbeit sei Arbeit. »Und wenn du ein Profi bist, dann gehst du jetzt.« Sie standen im Hausflur, nah beisammen, und sprachen so leise, dass ein Typ, der mit seinem Schlüsselbund spielte und Richtung Kellertreppe ging, nichts von ihrem Streit verstehen konnte.
    Gabriela liess ihn nicht aus den Augen, und als er verschwunden war, sagte sie: »Den werde ich mir noch einmal ansehen.«
    Boron ging mit, und dann standen sie, ein paar Meter vom Hauseingang entfernt, an einem Mauervorsprung. »Setzen wir uns doch«, schlug Boron vor, aber Gabriela blieb stehen, musterte die Umgebung, ging ein paar Schritte, nahm ihr Handy, meldete: »Alles o.k.«, sah sich um, aber ihn sah sie nicht an.
    »In einer Stunde, früher kommt die Kanzlerin nicht«, sagte Boron und stand auf. Sie patrouillierten wie ein Pärchen im Einsatz.
    »Wie vor ein paar Wochen noch«, sagte Boron, »empfindest du das nicht auch so?«
    »Nein«, sagte sie. »Du bist einfach nicht mein Typ.«
    »Aber du hast dich doch in mich verliebt.«
    »Hab ich, Tim. Aber man kann sich auch in den Falschen verlieben.«
    Boron schaute in ihre Augen und sah, dass sie alles sah: Die Autos, die Passanten, die Fensterfronten, die Hausdächer, sie hatte alles im Blick, nur ihn nicht mehr.
    »Zwei Agenten, das geht nicht«, sagte sie, »das weisst du auch. Aber wir bleiben Kollegen, Boron. Und du bist ein verdammt guter Kollege.«
    »Du hast dich in einen andern verliebt«, sagte Boron.
    »Blödsinn.«
    »Also dann«, sagte er, »dein verdammt guter Kollege wünscht dir noch einen guten Arbeitstag.«
    »Wohin gehst du, Boron?«
    »Feierabend, Frau Kollegin Hell. Und der Kollege hat jetzt eine Verabredung.«
    »Mit wem?«
    »Mit etwas Alkohol. Und Rotkehlchen schluckt mit«, sagte er und ging, entschlossen, sich nicht mehr umzuschauen.
    Aber das schaffte er nicht. Er wollte tschüss sagen und drehte sich um, zu spät: Er sah noch ihre langen blonden Haare, dann schloss sich die Haustür. Boron schaute auf die Uhr. Frühestens in einer Stunde, dachte er. Vorher kam die Kanzlerin nicht. Früher kam sie nie. Aber Rotkehlchen wartete. Er hatte sie in einem Chat kennengelernt und sich mit ihr verabredet. Er würde sich verspäten. Boron ging schneller, obwohl er überhaupt keine Lust auf dieses Treffen hatte. Die Kneipe, die sie vorgeschlagen hatte, kannte er nicht. Nähe Alex, in einem Biergarten. Boron kaufte einem Arbeitslosen eine Arbeitslosenzeitung ab und ging direkt auf dieHütchenspieler zu, die sich nicht verscheuchen liessen. Trotzdem sagte Boron: »Haut ab!«, und trat mit einem Schuh auf den Schüttelbecher. »Deutsch Arschloch du«, sagte einer der Rumänen.
    »Du du du, da da da«, sagte Boron. »Oder verstehst du kein Abstrakt? Musikgehör kein?«
    Die Hütchenspieler nahmen ihn in die Zange.
    »Jungs, macht keine Scheisse«, sagte Boron.
    »Du

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