Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Paris und …“
„Hör schon auf, ich kenne die europäischen Städte, Stolli! Du bist ja gut im Bild, was Organtransplantationen angeht.“
Er grinste schief. „Du kennst doch Stolli, neben dir der beste Ermittler, den Deutschland vorzuweisen hat. Ohne vorherige Recherche läuft bei mir nichts. Deine Andeutungen haben mich neugierig gemacht. Leider werde ich immer wieder unterschätzt. Das muss mit meiner grenzenlosen Bescheidenheit zusammenhängen.“
Verena ging auf die flapsige Bemerkung nicht ein. „Nehmen wir mal an, es sollen dort tatsächlich Organe entnommen werden. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sich in Deutschland Menschen dafür finden lassen?“
„Freiwillig sicher nicht“, stimmte er ihr zu.
Sie starrte ihn ungläubig an. „Du meinst …?“
Er nickte. „Ja, genau das meine ich.“
60
H ANNOVER , I NNENSTADT
Halb neun war vereinbart. Und jetzt zeigte seine Uhr bereits fünf nach neun und nichts tat sich. Wagner scharrte ungeduldig mit den Füßen. Um zehn Uhr hatte er einen Termin mit Frau Hauser im LKA vereinbart und es sah nicht danach aus, dass er in den nächsten Minuten in die geheiligten Hallen seines Arztes vorgelassen würde. Das Wartezimmer war brechend voll und die meisten Patienten schauten allein schon deshalb verdrießlich aus der Wäsche, weil sie sich noch länger die Arschbacken absaßen als er selbst.
Die Sprechstundenhilfen rannten wie aufgescheuchte Hühner hin und her. Treppe rauf, Treppe runter, ins Untersuchungslabor und zurück, in die Behandlungsräume und zurück – ohne Sinn und Verstand. So kam es Wagner jedenfalls vor. Dazwischen klingelte pausenlos das Telefon, das nur sporadisch bedient wurde. Nicht zum ersten Mal fragte sich Wagner, weshalb die Arztpraxen nicht vom Gesetzgeber verpflichtet wurden, Organisationsberater hinzuzuziehen, die dem chaotischen Durcheinander ein Ende bereiteten. Offenbar gehörte es zum guten Ton, Termine mehrfach zu vergeben und heillose Hektik zu produzieren.
Um Viertel nach neun war es dann endlich so weit. Sein Arzt machte einen gehetzten Eindruck. Als Erstes musste Wagner auf die Waage. Beim Blick auf die Waage wechselte der Gesichtsausdruck des Arztes von düster auf begeistert. „Hervorragend, Herr Wagner! Zweieinhalb Kilo weniger in knapp zwei Wochen. Sehr gut!“
Nach dem unerwarteten Lob wurde Wagner aufgefordert, Platz zu nehmen. Sein Arzt studierte die vor ihm liegenden Unterlagen. Auch sie gaben Anlass zur Freude. „Auch Ihre Werte sind besser als beim letzten Mal. Das Cholesterin ist zwar noch immer zu hoch, aber doch besser. Sie sehen, meine Verordnung wirkt.“
Bevor Wagner etwas sagen konnte, stand sein Arzt auf, ging um den Schreibtisch herum und drückte kräftig in seinen rechten Oberarm. So kräftig, dass Wagner nur mit Mühe einen Schmerzensschrei unterdrücken konnte. „Fühlt sich gut an, nicht mehr so viel Fett, dafür mehr Muskeln“, wurde der körperliche Übergriff begründet. „Sie gehen also regelmäßig zum Krafttraining?“ Wagner nickte schwach. Immerhin hatte er sich zum Probetraining angemeldet, auch wenn er den Termin verschwitzt hatte. „Wirklich lobenswert! Und Alkohol und Süßigkeiten haben wir auch gestrichen?“
Du vielleicht, ich nicht, dachte Wagner und nickte erneut. Der Mann im Kittel lächelte verhalten. „Sie machen sich, ich bin sehr zufrieden mit Ihnen. Weiter so, Herr Wagner! Und Sie werden sehen, wir bekommen das Problem in den Griff. Zweimal die Woche Krafttraining und zwanzig Kilometer mit dem Fahrrad, Alkohol, Fett und Süßigkeiten sind tabu.“
Mit einem neuen Termin und guten Wünschen versehen verließ Wagner die Arztpraxis. In seinen Gedanken war er längst bei dem bevorstehenden Gespräch im LKA.
Der Parkplatz des Polizeigebäudes war überfüllt. Das Fahrradfahren hat doch seine guten Seiten, freute sich Wagner, das Schild „Außer Betrieb“ auf der Fahrstuhltür freute ihn weniger. Als Wagner nach achtzig Stufen, die sich wie tausend anfühlten, das im vierten Stock gelegene Büro der Kriminalrätin erreichte, wurde er von Assistentin Schramm wie ein alter Bekannter begrüßt. „Frau Kriminalrätin Hauser ist noch beim Direktor, sie wird aber bald zurück sein. Nehmen Sie doch schon mal Platz. Kaffee gefällig?“
„Lieber ein Glas Wasser gegen den Durst, ich bin nämlich mit dem Fahrrad gekommen.“
„Tatsächlich? Ein Abgeordneter und Fahrrad. Finde ich super.“ Die Anerkennung tat Wagner gut. Vom weiblichen Geschlecht bewundert zu werden,
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