Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
ihrer Fensterbank, wo sie die Kaffeemaschine mangels Platz in ihrem engen Büro aufgestellt hatte. Kurz darauf erfüllte der Duft von frisch gebrühtem Kaffee das Zimmer. Aus ihrer Schreibtischschublade holte sie drei Müsliriegel hervor, die sie Stolli hinüberschob.
Nachdem er zwei Tassen Kaffee getrunken und die Müsliriegel vertilgt hatte, wobei er sich ausführlich über die katastrophale Politik der Bundesregierung in Sachen Eurorettung ausließ, kam er zur Sache. „Dein Gefühl hat dich nicht getäuscht. In der Klinik ist was oberfaul. Ich habe mein Auto am Straßenrand in der Nähe des Waldweges geparkt und bin das letzte Stück zu Fuß gegangen. Wanderer im Weserbergland fallen nicht auf. Auf dem Hof standen mehrere Fahrzeuge von Handwerksfirmen. Gedulde dich, alter Junge, habe ich mir gesagt, Handwerker und Kaffeepause sind wie siamesische Zwillinge untrennbar miteinander verbunden. Und siehe da, um Punkt zehn kamen sie aus dem Gebäude, in trauter Eintracht verbunden, und setzten sich in ihre Fahrzeuge. Das Übliche: Bildzeitung, Thermoskanne, Butterbrote. Sie hatten für nichts anderes mehr ein Auge. Für den guten Stolli die Gelegenheit, unbemerkt durch den Hintereingang hineinzuschlüpfen. Es war mucksmäuschenstill im Haus. Fast schon unheimlich, wie in einer Leichenhalle. Vom Erdgeschoss ging eine breite Treppe in das Kellergeschoss. Keine typische Kellertreppe, richtig nobel, gefliest und so. Ich habe nicht lange gefackelt und bin da runtergegangen. Im ersten Raum stand eine riesige Waschmaschine, im zweiten empfingen mich gähnende Leere und Eiseskälte. Mann, war das arschkalt, und im dritten Raum … Du wirst es nicht glauben. Kein normaler Mensch glaubt mir das.“
Erwartungsvoll schaute er Verena an. Die verlor allmählich die Geduld. „Ja, was denn nun? Mach es nicht so spannend, Stolli!“
„Na, na, etwas mehr Anerkennung für deinen leidgeprüften Freund, der dir zuliebe einen Urlaubstag geopfert hat, ist wohl angebracht. Der Raum war von oben bis unten weiß gekachelt. Aber das Härteste kommt noch.“ Wieder eine Pause. Manchmal fand Verena ihn einfach nur nervig. „Du hast nicht noch einen Müsliriegel?“, wollte er wissen.
Verena schüttelte den Kopf. „Du hast soeben meine Ration für die ganze Woche verspeist. Also was nun?“
Er lehnte sich zu ihr vor, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Mitten im Raum stand ein OP-Tisch mit Monitor, OP-Leuchten, Saugsystem und was noch alles dazugehört. Und überall Anschlüsse und Steckdosen. Das war ein komplett eingerichteter OP-Raum. Auch dort war es übrigens saukalt. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren. Wenn das eine Klinik für Psychos sein soll, fresse ich einen Besen.“
Verena musste die Informationen sacken lassen und schenkte sich Kaffee nach. „OP-Raum und gekühlt, sagst du? Meinst du, da wurde schon operiert?“
„Danach sah es nicht aus. Es wirkte alles nagelneu und unbenutzt. Ich vermute einen Testlauf für die Klimaanlage. Bei Organentnahmen werden besonders hohe Anforderungen an die Kühlungssysteme gestellt. Und was das angeht, bin ich mir hundertprozentig sicher: Du hattest den richtigen Riecher. Die wollen dort einen schwunghaften Organhandel ins Leben rufen. Menschen, die in Todesangst leben, sind gerne bereit, viel Geld zu zahlen, damit sie nicht jahrelang auf einen vorderen Listenplatz und das Okay von Eurotransplant warten müssen. Leider gab es mit meinem Handy ein Missgeschick. Als ich Aufnahmen machen wollte, streikte es. Wirklich blöd, ich weiß.“
Verena runzelte die Stirn. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die aus allen Teilen Deutschlands oder Europas Patienten in diese gottverlassene Ecke ankarren, um dort Organtransplantationen vorzunehmen. Das würde doch auffallen und irgendeiner der Patienten würde irgendwann reden. Das Risiko halte ich für zu hoch.“
„Wer sagt, dass dort Transplantationen vorgenommen werden? Ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass dort lediglich die Organe entnommen und zu Transplantationskliniken geflogen werden. Mit entsprechenden Konservierungsmitteln und Transportbehältern ist das kein Problem. Zwischen Organentnahme und Transplantation können bei Nieren zum Beispiel bis zu vierundzwanzig Stunden liegen, bei einer Lebertransplantation immerhin noch zwölf Stunden und der Standort der Klinik wurde klug gewählt, sie liegt mitten in Deutschland. Von da aus bist du mit dem Flieger in null Komma nichts in München, Hamburg, Wien, Zürich, Amsterdam,
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