Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Schoßhündchen seiner Angetrauten ist. Eines muss man Baumgart lassen, er ist ein Kommunikationsgenie. Selbst mit der Kommunistenpartei würde er erfolgreich anbandeln, wenn sie an die Regierung käme. Die Bürger wählen Politiker, aber letztlich haben Männer wie Baumgart das Sagen. Sie geben den Takt vor, bestimmen, was, wo und wann gespielt wird. Stichwort Rückvergütungsgeschäfte.“
Davon hörte Verena zum ersten Mal. Jürgen sorgte für Aufklärung.
„Es heißt, dass er mithilfe willfähriger Politiker anderen Unternehmen Staatsaufträge vermittelt hat, vorneweg dem Bauunternehmer Schlenkermann. Der wiederum hat fingierte, will sagen überhöhte Rechnungen ausgestellt. Ein Teil des Geldes, zehn Prozent oder so, soll später an Baumgart und an die beteiligten Politiker zurückgeflossen sein. Daher der Name Rückvergütung.“
„Das ist doch Betrug“, empörte sich Verena.
„Ja, und? Interessiert keine Sau. Zumindest nicht solange die Hintermänner im Geld schwimmen. Geld, mit dem sie Politiker ködern: Parteispenden, Sponsoring, Einladungen zu Luxusfeten und Luxusurlauben. Das ist ein geschlossener Kreislauf. Solange die Beteiligten die Klappe halten, fliegt das nicht auf. Die Dummen sind die Steuerzahler. Sie müssen für die überhöhten Rechnungen aufkommen.“
„Du meinst also, es ging bei dem Mord um illegale Geschäfte im großen Stil? Dann frage ich mich allerdings …“
Maurice Ravels „Boléro“ sorgte für Unterbrechung. Mit dem neuen iPhone hatte Verena auch den Klingelton geändert. Stollmann war am Apparat. „Ich habe im Radio von dem Mord gehört und mir gedacht, dass es vermutlich dich trifft. Hirschmann ist ein Stinkstiefel, aber blöd ist er nicht. Er weiß, was er an dir hat.“
„Schön, von dir zu hören. Gerade jetzt vermisse ich dich, Stolli. Dein Nachfolger Hetzel ist ein zynischer Widerling.“
„Mir fehlen die trauten Kaffeerunden mit dir auch. Ich kann mich trotzdem nicht beklagen. Der Osnabrücker Polizeidirektor ist ein feiner Kerl. Konservativ bis auf die Knochen, politisch voll daneben, aber von Polizeiarbeit versteht er eine Menge. Und anders als Hirschmann ist er kein Charakterschwein.“
Verena fand, dass ihr Freund übertrieb, was damit zu tun haben mochte, dass Stolli und Hirschmann auf Kriegsfuß gestanden hatten. Nach Hirschmanns Ernennung zum Direktor des LKA war der Weggang ihres Lieblingskollegen unausweichlich geworden, für Verena ein herber Verlust. „Das Gästezimmer in unserer neuen Wohnung wartet auf dich. Wann besuchst du uns?“
Er druckste herum. „Ich habe viel zu tun.“
„Wird in Osnabrück auch am Wochenende gearbeitet? Das sollte mich wundern, wo die Stadt doch stockkatholisch ist.“
„Du weißt doch, die Sache mit Anna ist noch ganz frisch und …“
„Du kannst Anna ruhig mitbringen. Ich freue mich darauf, sie endlich kennenzulernen.“
Am anderen Ende war eine Frauenstimme zu hören. Die legendäre Anna? Stollmann hatte es auf einmal sehr eilig und beendete das Telefonat.
Jürgen grinste. „Lass mich raten. Anna ist Anfang zwanzig, sieht super aus, ist allerdings grenzenlos dämlich. Sonst würde sie sich nicht mit einem dreißig Jahre älteren Knacker einlassen, der keine Kohle hat.“
„Irrtum“, konterte Verena. „Sie ist Anfang fünfzig, Fachberaterin für die Kindergärten der Stadt Osnabrück und Witwe.“
„Tatsächlich?“, wunderte sich Jürgen. „Kommt der gute Stolli auf seine alten Tage doch noch zur Vernunft? Seine bisherigen Gespielinnen waren doch nie älter als Anfang zwanzig.“
Dann wechselte er das Thema und meinte, dass er keinen Bock auf Kistenauspacken und noch weniger auf Einräumen habe und es Zeit sei, das neue Bett auszuprobieren. „Nicht zum Schlafen, das können wir später noch.“
10
H ANNOVER , L ANDTAG
„Herr Baumgart befindet sich auf Geschäftsreise in Berlin und wird erst morgen zurückerwartet.“ Die Stimme der Chefsekretärin des Großinvestors klang kühl am Telefon.
So leicht wollte sich Wagner nicht abwimmeln lassen. „Er wird doch sicher ein Handy haben. Sie könnten mir seine Nummer geben.“
„Das geht nicht. Herr Baumgart hat es mir ausdrücklich untersagt.“
Bleib ruhig, alter Junge, denk an deinen Blutdruck, ermahnte sich Wagner im Stillen. Vor wenigen Monaten, als die Bürgerpartei noch die Regierung stellte und er Europaminister war, hätte die blöde Schnepfe die Nummer herausgerückt, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Dann rufen Sie Ihren hohen Chef
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