Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
tippte mit seinem Kugelschreiber auf die Unterlage auf seinem Schreibtisch und starrte nachdenklich vor sich hin. Verena glaubte, auf seinem Gesicht den Ausdruck von Trauer zu erkennen.
„Ihre Partei ist aber auch arg gebeutelt worden im letzten Jahr. Erst wird der Spitzenkandidat ermordet und nur wenige Wochen nach der Landtagswahl erliegt sein Nachfolger einem Herzinfarkt. Und nun erneut ein Mord.“
Als Wagner nichts sagte, fuhr sie fort: „Die Fraktionsvorsitzende deutete an, dass Herr Wächter mit der Abgeordneten Peters und dem Abgeordneten Stutz über Kreuz gelegen hat.“
Wagner grinste. „Sie reden von der Quoten-Peters? Sie werden kaum einen männlichen Kollegen finden, der mit ihr gut kann. Ihr Anliegen ist vertretbar, sie selbst nicht. Eine Nervensäge ist nichts dagegen.“
„Und Stutz?“
„Tja, das war damals knallhart, was da abgelaufen ist. Wächter hat noch am Wahlabend von Stutz verlangt, dass er auf der Stelle von allen politischen Ämtern zurücktritt. Als Ministerpräsident bedurfte es keines Rücktritts, er war abgewählt. Allerdings war er noch Parteivorsitzender und hatte das erste Zugriffsrecht auf den Fraktionsvorsitz. Wächter hat eine regelrechte Revolte veranstaltet, Palastrevolution trifft es wohl eher. Am Ende hatte Stutz keine Wahl, er musste seinen Rücktritt erklären. Wäre es nach Wächter gegangen, hätte er auch sein Abgeordnetenmandat verloren. Doch da hat der Parteivorstand nicht mitgemacht.“ Dass Wächter erst kürzlich wieder einen Anlauf unternommen hatte, um Stutz auch um sein Abgeordnetenmandat zu bringen, verschwieg er.
Verenas Magen knurrte. Zum Frühstück hatte sie nur einen Orangensaft getrunken und jetzt ging es auf den Nachmittag zu. „Stutz muss das sehr mitgenommen haben, vermutlich hasste er Wächter. Das liegt zumindest nahe.“
Wagner zog die obere Schreibtischschublade auf. Die Tafel Schokolade war angebrochen. Er reichte sie ihr. „Hilft gegen Magenknurren.“
Verena brach dankend ein Stück ab und führte die Befragung kauend weiter. „Was glauben Sie, könnte seine Wut so groß sein, dass er …?“ – „Auf keinen Fall!“, ging Wagner dazwischen. „Stutz ist nach seinem Absturz ein anderer Mensch geworden, nachdenklicher und nicht mehr so rechthaberisch. Ein Mörder ist er ganz bestimmt nicht.“ Allenfalls schadenfroh, hätte er in Erinnerung an das Lächeln des Abgeordneten noch hinzufügen können. Er ließ es bleiben. Stutz war auch so gestraft genug, kein Grund, ihm auch noch die Polizei auf den Hals zu hetzen.
Bei Verena drängten sich üble Erinnerungen an die Staatskanzleimorde auf. Auch damals hatten sich die beteiligten Politiker alle Mühe gegeben, um Hinweise auf mögliche Täter im Politikbetrieb zu verschleiern. Sie streckte ihren Rücken und musterte ihr Gegenüber. „Ich erinnere Sie nur ungern an die Staatskanzleimorde, Herr Wagner. Um ein Haar hätte es auch Sie erwischt. Wenn Sie also etwas wissen …“
„Dann würde ich es Ihnen selbstverständlich sagen.“ Seine Stimme klang fest, doch er wich ihrem Blick aus.
Er hat dasselbe Gesicht aufgesetzt wie damals, als er mir auch etwas verschwiegen hat, befand Verena. Sie versuchte es mit einem neuen Thema. „Was wissen Sie über die Beziehung zwischen Tobias Wächter und Hans Baumgart?“
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Sie konnte nicht ausmachen, ob es Unbehagen oder Ärger war.
„Die beiden kannten sich gut. Genaues weiß ich allerdings nicht. Am besten, Sie fragen Baumgart selbst.“ Weshalb er ihr das Zusammentreffen der beiden am Tag des Mordes vorenthielt, hätte Wagner selbst nicht zu sagen vermocht. Vielleicht war es Solidarität zu seinem Landtagskollegen. Vielleicht war es aber auch nur die Sorge vor Unannehmlichkeiten. Denn Baumgart zum Feind zu haben, war das Letzte, was Wagner sich wünschte. Verena verabschiedete sich mit dem Gefühl, dass der Abgeordnete etwas vor ihr verheimlichte.
Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig zur Lagebesprechung.
Kollege Hetzel spielte sich wieder einmal in den Vordergrund. Ausführlich ließ er die Runde an seinem Gespräch mit Wächters Sekretärin Stigler teilhaben. In bildreichen Worten beschrieb er ihr Aussehen. Ihre endlos langen Beine, die langen, blonden Haare und ihre Ähnlichkeit mit Heidi Klum hatten ihn schwer beeindruckt. Die Kollegen grinsten, Assistentin Schramm setzte ein verdrossenes Gesicht auf. Verena wurde es schließlich zu bunt. „Wir wissen nun, was sie angehabt hat und dass sie
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