Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Meinen Sie die vielen Landesmittel, die in den Kurort geflossen sind und immer noch fließen? Ich wüsste nicht, was Wächter damit zu tun gehabt haben sollte. Das ist nicht sein Wahlkreis.“
„Wächters Frau erwähnte einen anonymen Anruf, der ihren Mann beunruhigt hat. Es soll um Probleme in Bad Pyrmont gegangen sein.“
Die Politikerin schüttelte energisch ihren Kopf. „Mit dem Mord hat das bestimmt nichts zu tun. Es gab zwar Ärger mit der Kurbetriebsgesellschaft, und der Wirtschaftsausschuss, dem Wächter angehörte, hat darüber beraten. Aber das hat nichts zu sagen, ist sozusagen täglich Brot der Landespolitik.“ Sie erhob sich. Die unmissverständliche Aufforderung an ihren Gast, zu gehen. Der Abschied fiel kühl aus.
Der südländische Schönling machte einen gelangweilten Eindruck. Er saß hinter einem bis auf einen Terminkalender leeren Schreibtisch und schaute aus dem Fenster. Verena erkundigte sich nach der Zimmernummer von Bernd Wagner. Seine Wegbeschreibung war umständlich, aber immerhin war er freundlicher als seine Chefin. Während Verena den langen, düsteren Flur entlanglief, ließ sie das Gespräch mit Marion Klaßen Revue passieren. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass die Politikerin etwas vor ihr verbarg.
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H ANNOVER , L ANDTAG UND L ANDESKRIMINALAMT
Warum meldete sich Baumgart nicht?
Bernd Wagner war weder nachtragend noch besonders empfindlich. Als Mitarbeiter des Politikbetriebs hatte er gelernt, dass ein dickes Fell unabdingbar war, um im Dickicht von Intrigen, Neid und Missgunst nicht wie eine Fliege zerquetscht zu werden. Dass Baumgart es nicht für nötig befand, zurückzurufen, ärgerte ihn trotzdem. Seit der Verbannung seiner Partei in die Opposition machte er fast täglich die niederschmetternde Erfahrung, ausgemustert zu sein.
Jahrelang hatte er sich im Zentrum der politischen Macht bewegt, hatte als Türöffner zu Spitzenpolitikern für seine Mitmenschen eine wichtige Rolle gespielt. Gesprächstermine beim Regierungschef, Einladungen ins Gästehaus der Landesregierung, zu den legendären Sommerfesten in Berlin und Spargelessen in Brüssel, und immer war er behilflich gewesen. Damit konnte er nun nicht mehr dienen und das ließ man ihn spüren! Entscheidungsträger aus der Wirtschaft, die jahrelang um ihn herumscharwenzelt waren, hatten allenfalls noch ein flüchtiges Kopfnicken für ihn übrig. Wenn überhaupt. Der Verlust der Macht hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Als es klopfte, galt sein erster Gedanke dem Großinvestor. Hatte Baumgart sich endlich doch dazu aufgerafft, ihn aufzusuchen?
Vor ihm stand Verena Hauser. Sie sah gut aus, auch oder gerade weil sie etwas zugenommen hatte. Die neue Frisur betonte ihre grünen Augen mit den langen, schwarzen Wimpern. Mit ausgestreckter Hand ging er auf sie zu und bot ihr den einzigen Besucherstuhl an. Er hatte allen Grund, ihr dankbar zu sein. In buchstäblich letzter Minute hatte sie die Staatskanzleimörderin dingfest gemacht. Hätte sie die Täterin nur einen Tag später gefasst, würde er nicht mehr unter den Lebenden weilen.
Mit Blick auf seinen mit Dokumenten voll bepackten Schreibtisch bedauerte sie die Störung.
„Sie stören nicht“, sagte Wagner. „Ich freue mich über jede Abwechslung. Haben Sie sich schon mal mit Grün- und Weißbüchern aus Brüssel befasst? Nein? Dann seien Sie froh. Das ist die Höchststrafe für jeden Politiker. Sie wollen mich bestimmt wegen Tobias Wächter sprechen. Eine schlimme Sache. Eine Tasse Kaffee gefällig?“
Verena lehnte dankend ab. „Sie kannten ihn gut?“
„Als Wahlkampfmanager von Alfred Bitter hatte ich mit ihm zu tun. Albi hat seinen Rat sehr geschätzt.“
„Und Sie? Haben Sie seinen Rat auch geschätzt?“
Der Kriminalbeamtin fiel auf, dass Wagner auf das Display seines Mobiltelefons schielte. Dann schenkte er ihr doch seine Aufmerksamkeit. „Wenn ich ehrlich sein soll, nein. Als Vorsitzender der Seniorenvereinigung war er in Ordnung, als Fraktionsvorsitzender war er nicht tragbar. Zu rückständig, zu konservativ, zu fortschrittsfeindlich. So haben es die meisten von uns jedenfalls gesehen und Marion Klaßen bei der Wahl um den Vorsitz den Vorzug gegeben.“ Gerne hätte er hinzugefügt: „Und es inzwischen bitter bereut.“ Laut sagte er: „Obwohl es anfänglich so aussah, als ob Wächter gewinnen würde. Doch dann …“ Er stockte. „Das ist Schnee von gestern und interessiert Sie vermutlich nicht. Trotzdem, es tut mir verdammt leid um ihn.“ Er
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