Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
das Verhältnis von Wächters Frau mit dem Großinvestor Baumgart zu informieren. Für sie lag es auf der Hand, dass Wächter von der Affäre erfahren und einen Detektiv auf die beiden angesetzt hatte. Und wäre Hetzel nicht im Raum gewesen, hätte sie ihr Wissen auch weitergegeben, so behielt sie es für sich.
Kollege Pieper war entrüstet. „Weshalb hat sich der Detektiv nicht bei uns gemeldet? Dass sein Mandant erstochen wurde, ist seit Tagen das Topthema in den Medien. Er hätte uns informieren müssen.“
Hetzel glaubte die Antwort zu wissen. „Privatdetektive meiden die Polizei. Das war bei uns in Essen auch nicht anders. Wir sollten ihn uns vorknöpfen. Ich kann das übernehmen.“
Verena machte mehr als deutlich, dass sie selbst mit Lentz sprechen wolle, eine Feststellung, auf die Hetzel mit einem lauten Seufzer reagierte.
Lange würde sie dieses Spiel nicht mehr ertragen. Auch wenn sie in langen Jahren bei der Polizei gelernt hatte, dass Geduld zu den wichtigsten Eigenschaften einer erfolgreichen Ermittlerin gehört, war es höchste Zeit, ihrem neuen Kollegen klarzumachen, wer die Zügel in der Hand hielt. Und Hirschmann hatte sie und nicht Hetzel zur Leiterin der Soko Wächter ernannt.
Ein langatmiger Bericht des auch heute wieder schlecht gelaunten Mitarbeiters der Spusi folgte. Es waren Fußspuren am Tatort sichergestellt worden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Täter stammten. Schuhe der Marke Clarks, Größe 44. Der Tathergang ließ darauf schließen, dass der Täter größer gewesen war als Wächter mit seinen ein Meter fünfundsiebzig. Die Tatwaffe selbst konnte trotz dreitägiger intensiver Suche nicht ausfindig gemacht werden. Der Täter wäre auch ein ausgemachter Dummkopf, wenn er das Messer zurückgelassen hätte, waren sich die Polizeibeamten einig.
Pieper brachte erneut den Chef der Baumgart Holding AG ins Spiel. „Wann wird denn nun endlich Hans Baumgart vernommen?“
Verenas Hinweis, wonach er seit zwei Tagen verschwunden sei, sorgte für Diskussionen unter den Anwesenden.
Pieper meinte: „Sein Verschwinden legt nahe, dass er mit dem Mord an Wächter zu tun hat. Vielleicht gab es einen Riesenstreit um viel Geld und er hat die Nerven verloren.“
Oder es ging um profane Gefühle, um verletzten Stolz und Eifersucht, dachte Verena, sagte aber nichts. Ihr Gespräch mit dem Privatdetektiv würde Klarheit bringen.
Hetzel war anderer Meinung. „Vermutlich hat er eine Auszeit genommen und hockt in einem abgelegenen Kloster, um zu regenerieren. Klosteraufenthalte sind bei Spitzenkräften momentan total in.“
„Unsinn“, knurrte Pieper. „Einer wie Baumgart tankt in einer Luxus-Wellness-Anlage auf und nicht in einem Kloster. Hinzu kommt, dass ein Mitglied seines Aufsichtsrates ermordet wurde, da taucht man nicht einfach unter, ohne seiner Frau und den engsten Mitarbeitern Bescheid zu sagen. Selbst ein hartherziger Typ wie Baumgart würde das allein schon wegen der Gesichtswahrung nicht tun. Da muss schon mehr dahinterstecken!“
Hetzel beharrte auf seinem Standpunkt. „Was verstehen Sie denn schon davon, Kollege Pieper. Sie tun ja gerade so, als ob sie sich in diesen Kreisen bestens auskennen würden. Ich halte es durchaus für denkbar, dass er sich für einige Tage in ein Kloster zurückgezogen hat, um seine Ruhe zu haben. Ganz ohne Handy, versteht sich.“
Bevor sich die Auseinandersetzung hochschaukeln konnte, vertagte Verena die Lagebesprechung auf den nächsten Tag. Zuvor wurden neue Aufgaben verteilt, diverse Gespräche mit Wächters Kollegen mussten geführt werden, allen voran mit dem Abgeordneten Stutz und der Abgeordneten Peters. Vorrang hatte aber die Befragung Hans Baumgarts. Doch dazu musste dieser erst einmal gefunden werden. Verena erklärte die Suche nach Baumgart zur obersten Priorität.
Zurück in ihrem Büro, versuchte Verena erneut Boris Milner zu erreichen. Bereits nach dem zweiten Läuten meldete sich eine männliche Stimme mit starkem osteuropäischen Akzent. Nachdem Verena sich vorgestellt hatte, erwiderte der Mann: „Herr Milner ist nicht zu sprechen. Worum geht es?“
„Ich möchte mit Herrn Milner über Hans Baumgart sprechen. Die beiden waren vorgestern Nachmittag verabredet und Herr Baumgart wird seither vermisst.“
„Hier ist Herr Baumgart nicht angekommen. Das haben wir seiner Mitarbeiterin bereits gesagt.“
„Ich möchte trotzdem gerne mit Herrn Milner sprechen. Richten Sie ihm das bitte aus!“
Am anderen Ende wurde kommentarlos
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