Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
zwei gravierende Mankos: Sie ist zu jung und eine Frau. Und beides passt nicht zu unserer Partei. Und jetzt wird sie sogar als Kanzlerkandidatin gehandelt. Unglaublich!“
Bevor Wagner einen Kommentar abgeben konnte, fuhr sein Gegenüber fort: „Die nächste Bundestagswahl wird von Menschen über sechzig entschieden. Denen kann man doch ein Greenhorn wie die Klaßen nicht zumuten. Ich muss unbedingt mit dem Kanzler darüber reden. Er soll ja eine Schwäche für sie haben. Na ja, unter uns Männern gesagt, als Frau ist sie auch nicht zu verachten. Wenn man sie mir auf die Bettkante setzen würde, würde ich nicht Nein sagen. Manchmal denke ich …“ Auf dem Gesicht des Abgeordneten erschien ein verträumter Ausdruck.
Wenn er jetzt sein Sexleben vor mir ausbreitet, schreie ich, dachte Wagner und ergriff vorsichtshalber schnell das Wort. „Tobias Wächter hat mich kurz vor seinem Tod auf die Klinik in der Nähe von Bad Pyrmont angesprochen. Er wirkte aufgeregt und besorgt. Jetzt frage ich mich, ob der Mord vielleicht in Zusammenhang mit der Klinik steht. Und da sie in Ihrem Wahlkreis liegt, dachte ich …“ Das war mehr als haarscharf an der Wahrheit vorbei, denn von Wächters Unruhe wegen der Klinik hatte er erst nach dem Mord erfahren.
Römermann rieb sich die Nase. Ein missbilligender Gesichtsausdruck begleitete seine nächsten Worte. „So, so, er hat also mit Ihnen über die Klinik gesprochen. Merkwürdig, das Vorhaben sollte eigentlich nicht an die große Glocke gehängt werden. Es geht um gestresste Manager. Menschen mit Psychoticks, Burn-out und Herzkasper. Grundvoraussetzung, um aufgenommen zu werden: viel Geld. Sehr viel Geld. Die gut betuchten Patienten sollen von der Öffentlichkeit abgeschirmt und mit Gesprächstherapien, Entspannungstechniken und ähnlichem Hokuspokus therapiert werden. Ein langer Spaziergang und ein Kirchenbesuch täten es auch, finde ich. Andererseits, wenn die Leute ihr Geld für solchen Mist ausgeben wollen, warum dann nicht in meinem Wahlkreis!“
„Ist Baumgart nicht Gesellschafter der Klinik?“, wollte Wagner wissen.
Ein lauernder Blick traf ihn. „Ehrlich gesagt, haben mich die Besitzverhältnisse nie interessiert. Da müssen Sie sich bitte direkt an Herrn Baumgart wenden.“
„Ja, wenn das mal so einfach wäre. Herr Baumgart ist geschäftlich unterwegs und seine Sekretärin wollte die Handynummer nicht herausrücken.“
„Gut erzogen, die Dame“, entgegnete Gülleprinz süffisant lächelnd. „Vielleicht hat er sich für einige Tage in sein Ferienhaus auf Sylt zurückgezogen, um Nordseeluft zu tanken. Stilvolles Anwesen übrigens. Ich war letztes Jahr mit Tobias dort. Ein sehr schönes Reetdachhaus mit Blick aufs Wattenmeer, Spitzenlage in Kampen.“
Wagner kam zum Grund seines Besuches zurück. „Wann wird die Klinik denn ihren Betrieb aufnehmen?“
„Warum interessiert Sie die Klinik nur so brennend? Sagen Sie bloß, Sie leiden auch an Burn-out? Ich sag’s ja immer: Die jungen Männer heutzutage sind nicht mehr belastbar. Alle verhätschelt, Zucht und Ordnung haben die nie gelernt.“
Wagner ging darauf nicht ein.
Mit Blick auf seine Uhr merkte Römermann an: „Ich muss in zehn Minuten weg, eine Verabredung. Falls Sie glauben, dass der Mord mit der Klinik zu tun hat, liegen Sie falsch. Für mich steht fest, dass Tobias Opfer eines brutalen Einbrechers geworden ist.“
Wagner war anderer Meinung, aber das behielt er für sich.
19
H ANNOVER , K IRCHRODE
Verena hatte sich auf den Abend mit Jürgen gefreut. Hinter ihr lag ein anstrengender Tag mit zermürbenden Gesprächen und aufwendigen Recherchen, die sie allerdings kaum weitergebracht hatten. Baumgart war und blieb verschwunden und von einer aussichtsreichen Spur im Mordfall Wächter waren sie meilenweit entfernt.
Jürgens Laune befand sich jedoch auf einem Tiefpunkt. So hatte Verena ihn noch nie erlebt. Er hatte zu gar nichts Lust. Weder zum Auspacken noch zum Pizzaessen und erst recht nicht zum Schmusen.
„Wir müssen reden“, stellte er stattdessen mit finsterer Miene fest.
Verenas Befürchtung, dass das Gespräch keinen guten Verlauf nehmen würde, sollte sich bewahrheiten. Es ging um Jürgens berufliche Zukunft.
„Ich habe nachgedacht. Im Ministerium kann ich nicht bleiben, zumindest nicht solange es von diesem Blindgänger geleitet wird!“
„Warte doch erst einmal ab, vielleicht ist die Leitung der Abteilung für Kommunalaufsicht interessanter, als du glaubst. Manchmal entpuppt sich
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