Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
aufgelegt. Ein ausnehmend höflicher Mensch, dachte Verena. Als sie eine Stunde später erneut Milners Nummer in Berlin wählte, nahm niemand mehr ab. Der Anrufbeantworter forderte sie auf Deutsch und Russisch auf, eine Nachricht zu hinterlassen. Einen Teufel würde sie tun. Verena gab sich keinen Illusionen hin. Auf den Rückruf könnte sie bis zum Jüngsten Tag warten. Am liebsten wäre sie auf der Stelle nach Berlin gefahren, um den beiden frostigen Herren einen Überraschungsbesuch abzustatten. Leider ließen das die föderalen Strukturen nicht zu. Manchmal, so wie jetzt, wünschte sie sich effizientere Verwaltungsstrukturen in diesem Land. Dass es jemals dazu kommen würde, war unwahrscheinlich, müssten doch Politiker auf Ämter und Pfründe verzichten.
21
H ANNOVER , H ERRENHAUSEN
Neuer Ärger für Bernd Wagner! Als ob er nicht schon genug Probleme am Hals hätte! Erich Paulmann, der Leiter seines Wahlkreisbüros, hatte von heute auf morgen gekündigt. Es zog ihn in die EU-Kommission nach Brüssel. Wagner konnte es ihm nicht verdenken. Die Kommission zahlte Traumgehälter. Einen Nachfolger zu finden, war allerdings nicht einfach. Jung musste er sein, einen Hochschulabschluss sowie den richtigen Stallgeruch haben und vor allem bezahlbar sein. Sein Hilferuf in der Landespartei brachte ebenso wenig wie die Nachfrage bei den Jungen Bürgern, der Jugendorganisation der Bürgerpartei. Gute Leute seien momentan Mangelware, der Arbeitsmarkt leer gefegt, gab man ihm zu verstehen. So schrieb er die Stelle im Internet aus und hoffte, dass sich bald jemand Vorzeigbares melden würde.
Der eigentlich für den Nachmittag vorgesehene Klinikbesuch musste ein weiteres Mal verschoben werden, da am Abend das traditionelle Frühjahrsfest des Unternehmerverbandes im Wilhelm-Busch-Museum anstand. Wagner wollte unbedingt daran teilnehmen, hoffte er doch Ralf Schlenkermann zu treffen, einen langjährigen Geschäftspartner von Hans Baumgart. Der Bauunternehmer wickelte seit Jahren nahezu alle Bauprojekte für Baumgart ab und würde vermutlich auch das Klinikvorhaben kennen.
Nachdem es den ganzen Tag geregnet hatte, sah das Wilhelm-Busch-Museum jetzt in der Abendsonne wie frisch gewaschen aus. Vor dem Eingang hatte sich das Empfangskomitee aufgestellt: der Präsident, sein Vize und der Geschäftsführer des Unternehmerverbandes. Im letzten Jahr hatten sie Wagner überschwänglich und mit Handschlag begrüßt. Jetzt hatten sie nur ein knappes Nicken für ihn übrig. Die ungeteilte Aufmerksamkeit des Trios galt dem Wirtschaftsminister, der kurz hinter ihm vorgefahren war. Du wirst dich an den Zustand der Missachtung gewöhnen müssen, alter Junge, sagte sich Wagner, während er in den Garten schlenderte.
Auf dem gepflegten, mit Gartenleuchten dekorierten Rasen im Innenhof des Museums standen elegant gekleidete Männer und Frauen in Grüppchen zusammen. Servicekräfte wieselten durch die Reihen und verteilten Gläser mit Sekt und alkoholfreien Drinks. Als Wagner sich ein Glas nahm, das letzte auf dem Tablett, streifte jemand im Vorbeigehen seinen Arm und der Inhalt kippte auf seine frisch geputzten Schuhe. Die Servicekraft war bereits verschwunden und er stand mit leerem Glas da. Das ist heute wieder mal ein Scheißtag, fluchte Wagner im Stillen.
Um ihn herum angeregte Gespräche über das Wetter, Hannover 96 und das Topthema der Saison: die herrische Gattin des neuen Ministerpräsidenten. Alles keine Gute-Laune-Themen, fand Wagner. Das Wetter war launisch, Hannover 96 spielte seit Wochen grottenschlecht und die neue Landesmutter war eine Zimtzicke. Er hielt Ausschau nach Schlenkermann, konnte ihn aber in dem Gedränge nicht ausmachen.
Ein Tusch des Orchesters unterbrach die Konversationen. Das Erscheinen des Ministerpräsidenten nebst Gemahlin wurde angekündigt. Hoheitsvoll grüßte die Gattin des Regierungschefs nach allen Seiten. Er ging in gebührendem Abstand hinter ihr her.
Eine Frau hinter Wagner zischelte ihrem Partner zu: „Wie kann es sein, dass ein Bundesland mit mehr als acht Millionen Einwohnern von einer Textilfachverkäuferin regiert wird? Wirklich unerhört! Neulich soll sie sogar in eine Kabinettssitzung geplatzt sein, um den Umweltminister zur Schnecke zu machen. Angeblich hat er die Vogelflugrichtlinie nicht umgesetzt. Der Ministerpräsident soll wie ein geprügelter Hund dabeigesessen und keinen Laut von sich gegeben haben. Er benimmt sich wie ihr Schoßhund.“ Die Umstehenden feixten.
Ein erneuter Tusch
Weitere Kostenlose Bücher