Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Jürgen vor. „Wenn du möchtest, rufe ich ihn morgen an. Wir sind uns einige Male begegnet, zuletzt auf der Innenministerkonferenz Ende letzten Jahres. Da war Fritz Krause noch Innenminister.“
Ein sehnsüchtiger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
Fast verspürte Verena ein schlechtes Gewissen, dass sie ihn zwang, einen verhassten Job unter einem noch verhassteren Minister anzunehmen. „Das wäre sehr nett. Danke!“, sagte sie und betete im Stillen, dass seine Liebe zu ihr stärker war als seine beruflichen Ambitionen.
20
H ANNOVER , L ANDESKRIMINALAMT
Wer hatte ein Motiv, Wächter zu ermorden? Die von Verena zu Beginn der Lagebesprechung aufgeworfene Frage führte zu einer regen Diskussion. Am Ende war es wie immer. Es herrschte Einigkeit, dass Spekulationen sie nicht weiterbrachten und intensive Ermittlungstätigkeit vonnöten war, Routinearbeit eingeschlossen.
Die Nachbarn hatten weder etwas gehört noch etwas gesehen. Das einzige an Wächters Landhausvilla angrenzende Grundstück mit einem verwunschen wirkenden Fachwerkhaus wurde von einem alleinstehenden zweiundachtzigjährigen Herrn bewohnt, der außer montags, wenn seine Tochter ihn besuchte, abends immer vor dem Fernseher saß. Wie der zuständige Polizeibeamte zu berichten wusste, war der Apparat vermutlich auf höchste Lautstärke gestellt. Der alte Herr war seit einem Gehörsturz vor zwei Jahren schwerhörig, die Verständigung äußerst mühsam. Hetzel verstieg sich in einen peinlich genauen Bericht über die Probleme seines Vaters mit Hörgeräten verschiedenster Hersteller. Assistentin Schramm hing hingebungsvoll an seinen Lippen. Meinetwegen soll sie ihn anhimmeln und sich mit ihm im Bett vergnügen, aber Intrigen hinter meinem Rücken werde ich nicht dulden, beschloss Verena im Stillen.
Kollege Kleinsorge brachte sie zum Mordfall zurück, indem er die Runde darüber informierte, was die Auswertung der elektronischen Post des Politikers ergeben hatte. „Hauptsächlich geht es um die Seniorenorganisation, vorrangig um die anstehende Neuwahl des Vorstandes und die Forderung der Frauen im Vorstand nach mehr Mandaten. Wächter hat sich quergestellt.“
Hetzel reagierte bissig. „Ihre Erkenntnisse in allen Ehren, Herr Kleinsorge, aber weiter bringen sie uns nicht. Die alten Weiber werden ihn ja sicher nicht erstochen haben“, lästerte er.
Mehr noch als über den rüden Ton ärgerte sich Verena über „die alten Weiber“, weshalb auch ihr Konter bissig ausfiel. „Niemand behauptet das, Herr Kollege. Dennoch stellt sich die Frage, was wir dem E-Mail-Verkehr abgewinnen können. Immerhin war er mit seinen Ausführungen noch nicht fertig.“
Hetzel schnaubte verächtlich, verzichtete aber auf eine Antwort. Zwischen Verena und ihrem neuen Kollegen zeichnete sich ein Machtkampf ab, der Ausgang und die Frontlinie im LKA waren ungewiss. Nicht wenige Kollegen neideten Verena die Beziehung zum ranghöchsten Polizeibeamten. Noch bekleidete Jürgen dieses Amt ja. Ihre Kollegin Inga Schulz sowie Pieper und Kleinsorge wusste Verena auf ihrer Seite. Bei Direktor Hirschmann war sie sich nicht sicher. Er verdankte seinen Aufstieg in erster Linie seinen hervorragenden Beziehungen zum Ministerium. Außerdem ging das Gerücht um, dass er mit einem Wechsel von der Bürgerpartei in die Sozialpartei liebäugelte, der Partei, der auch Hetzel angehörte.
Kleinsorge ignorierte die angespannte Atmosphäre und setzte seinen Bericht fort. „Einige E-Mails sind an den Abgeordneten Römermann adressiert. Und alle drehen sich um das gleiche Thema: Wächter wollte, dass der Abgeordnete Stutz sein Landtagsmandat verliert. Darüber hinaus hat Wächter regelmäßig Mails von der Baumgart Holding AG erhalten: Einladungen zu Aufsichtsratssitzungen, Tagesordnungen, Positionspapiere und dergleichen.
Verena erkundigte sich nach E-Mails, die dezidiert von Baumgart stammten und die Klinik in Bad Pyrmont betrafen.
Kleinsorge musste passen. Aber er konnte mit der brisantesten Nachricht des Tages aufwarten: „Die Privatdetektei Lentz hat für Wächter eine Observation durchgeführt. Lentz wollte ihm das Material vorgestern, also einen Tag nach dem Mord, aushändigen.“
Diese Neuigkeit brachte wieder Leben in die bis dahin nur mäßig interessierte Runde. Vermutungen, wem die Observation gegolten hatte, wurden ausgetauscht. Von Wächters Frau und seinem politischen Intimfeind Stutz war die Rede.
Verena war sich bewusst, dass der Zeitpunkt gekommen war, ihre Kollegen über
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