Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
liebte und der ihre Liebe erwiderte. Und mit dem sie in einer Traumwohnung in einem der schönsten Stadtteile Hannovers lebte. Im Beruf lief bis auf den Ärger mit dem neuen Kollegen Hetzel auch alles zu ihrer Zufriedenheit. Ihre Arbeit war manchmal verdammt nervenaufreibend, auch derzeit wieder, aber das hatte sie schließlich gewusst, als sie Dezernatsleiterin im LKA geworden war. Und obwohl sie noch im Nebel stocherte, war sie fest entschlossen, auch diesen Fall aufzuklären. Allein schon, weil sie dem Stinkstiefel Hetzel um den Triumph der Schadenfreude bringen wollte.
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K UFRA , L IBYEN
Tausende Kilometer von Deutschland entfernt in einer unwirtlichen Wüstenregion in Nordafrika hoffte ein junger Sudanese auf ein besseres Leben in Deutschland. Ein Leben, das ihm und seiner Familie endlich ein Auskommen, vielleicht sogar bescheidenen Wohlstand bieten würde. Die Verantwortung lastete schwer auf Taban, sogar so schwer, dass sie ihn fast erdrückte und ihm die Luft zum Atmen nahm. Kurz nach seinem neunzehnten Geburtstag hatte sein Vater ihn für die lange Reise nach Deutschland ausgewählt, obwohl er der jüngste der vier Brüder war. Er war schon immer der Liebling seines Vaters gewesen. Seine Brüder hatten die Entscheidung widerspruchslos hingenommen.
„Kannst du schwimmen?“ Umars Frage zerstreute seine Gedanken.
Taban zögerte. Er wusste nicht, was er von Umar halten sollte. Umar, einige Jahre älter als er und ebenfalls Sudanese, war wie Taban Wirtschaftsflüchtling. Auch er wollte unbedingt nach Deutschland. Sie hatten sich im Lastwagen, der sie nach Kufra gebracht hatte, kennengelernt. „Vertrau niemandem“, hatte sein Onkel Hassan ihm ans Herz gelegt. „Und pass vor allem auf dein Geld auf, sonst klauen sie es dir.“ Entsprechend zurückhaltend verhielt sich Taban. Aber Umar sah in ihm offenbar einen Freund.
Er stammte aus Khartum, der Hauptstadt des Sudans. Taban hingegen war in Rabak aufgewachsen, einer Stadt südlich von Khartum gelegen und mit 200.000 Einwohnern viel überschaubarer als Khartum, dessen Stadtväter die Hauptstadt gerne als New York des Sudans bezeichneten. Nach allem, was Taban über die Stadt gehört hatte, war es kein Ort, der besonders lebenswert erschien, ganz anders als die Städte in Europa: Paris, London oder Berlin, von denen er schon so viel Positives gehört hatte und die er alle kennenlernen wollte. Am Zusammenfluss des Blauen und Weißen Nils gelegen, galt Khartum als überfüllt, staubig, laut und dreckig. „Eigentlich ist es keine Stadt, sondern eine Ansammlung von Slums und dazwischen Wolkenkratzer“, hatte sein Lehrer immer behauptet und dabei sein Gesicht missbilligend verzogen.
Umar hatte gelacht, als Taban ihm davon erzählt hatte. „Was wissen denn Lehrer schon? War er überhaupt schon mal dort?“
Taban konnte das nicht beantworten. „Wie ist es in Khartum?“, hatte er wissen wollen.
„Super! Es gibt einen Flughafen, sogar ein Internetcafé, viele Läden und eine Universität“, prahlte Umar. „Es ist viel los in der Stadt, und ganz sicher mehr als in Rabak.“
„Wenn es dort so toll ist, warum willst du dann nach Deutschland?“, hätte Taban ihn gerne gefragt. Aber er behielt die Frage für sich. Umar war stark und fast zwei Meter groß. Obwohl auch Taban kräftig und muskulös war, und er wegen seiner Statur den Respekt seiner Mitschüler und später der Kollegen in der Zementfabrik genossen hatte, fühlte er sich gegen Umar klein und unbedeutend. Umar war kein Greenhorn wie er, er hatte die Reise nach Deutschland bereits einmal gemacht und konnte sogar einige Brocken Deutsch. Er war es auch, der Taban überredet hatte, den stickigen Laster, der sie nach Libyen gebracht hatte, rechtzeitig zu verlassen und die letzten Kilometer zu Fuß zu gehen. „Sonst landen wir im Auffanglager von Kufra. Und das ist die Hölle“, hatte Umar ihn gewarnt. „Die Aufseher sind korrupt und sie verprügeln dich, wenn du ihnen nicht genug Geld gibst. Frauen und Mädchen vergewaltigen sie. Wenn du erst einmal in dem Lager festsitzt, ist es verdammt schwer, nach Tripolis zu kommen. Um das Lager herum haben sie einen hohen Zaun errichtet, den sie bewachen.“
Nach der stundenlangen Wanderung durch Wüstensand war Taban müde und durstig. Und Hunger hatte er auch. Seit er gestern in aller Früh den betagten Laster in Rabak bestiegen hatte, hatte er kaum etwas gegessen. Lediglich eine Flasche Wasser hatte er bekommen. „Damit ihr nicht so oft pinkeln
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