Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Eingang erkennen. Auch mehr als eine Woche nach dem ersten Mord stocherte sie im Dunkeln. Sie unterdrückte ein Seufzen. Eines stand jedenfalls fest: Vor ihnen lag noch ein hartes Stück Arbeit. Wenn sie ihren langjährigen Kollegen und Freund Stolli an ihrer Seite gewusst hätte, wäre sie zuversichtlicher gewesen. Ihr neuer Kollege Hetzel war hingegen das reinste Brechmittel.
Um halb neun wachte auch endlich Jürgen auf. Er beklagte sich über Kopfschmerzen. Als sie sich an ihn schmiegen wollte, reagierte er nicht. Schmusen war heute Morgen anscheinend nicht erwünscht und mehr schon gar nicht. Schade, dachte Verena und bot an, ihm Frühstück ans Bett zu bringen. Nach der zweiten Tasse Kaffee ging es ihm sichtlich besser. Auch seine Laune besserte sich, wenn auch nur geringfügig. Als sie sich an ihn kuscheln wollte, schob er sie weg. „Erzähl mal, wie es in Eberswalde gelaufen ist“, forderte er sie auf.
Verena war bedrückt. Weshalb die ablehnende Kälte? Was war los mit ihm? Hatte es etwa schon wieder Ärger im Ministerium gegeben oder hatte sein abweisendes Verhalten andere Gründe? Noch immer wusste sie nicht, wo er Freitagabend so spät gewesen war. Sie hätte ihn gerne gefragt, kam aber zu dem Schluss, dass der Zeitpunkt denkbar ungünstig war. Bevor sie auf seine Bitte eingehen konnte, fügte er hinzu: „Du musst gestern sehr spät zurückgekommen sein, ich bin bis kurz vor Mitternacht aufgeblieben.“
Daher wehte also der Wind. Jürgen war sauer, dass sie später als gedacht von ihrer Dienstreise nach Eberswalde heimgekommen war. „Ich habe Freitagabend mehrfach versucht, dich zu erreichen. Vergeblich. Und am Samstag hatte ich einfach zu viel um die Ohren, um dich anzurufen“, stellte Verena fest, bevor sie ihm den gewünschten Bericht lieferte. Nach dem Besuch in der Gerichtsmedizin waren Schuster und sie nach Sommerfelde gefahren, um die Bewohner der umliegenden Häuser zu befragen. Niemand hatte etwas mitbekommen, weder vom Mord selbst noch von einem Fahrzeug mit fremdem Kennzeichen, das in den Wald gefahren war. Ungewöhnlich war das nicht, war die Gegend doch sehr dünn besiedelt und das Waldstück, in dem Baumgarts Leiche gefunden worden war, fast zwei Kilometer von Sommerfelde entfernt. Später im Präsidium hatten sie sich mit Kriminaldirektor Wendt beraten. Sie waren sich einig gewesen, dass Motiv und Täter in Hannover und nicht in Brandenburg zu suchen waren. Verena hatte schließlich doch noch Boris Milner ins Spiel gebracht. Ihre Brandenburger Kollegen hatten aufgehorcht und Schuster hatte versprochen, sich bei seinem Berliner Kollegen zu erkundigen, bei demselben, der Verena am Telefon so brüsk abgefertigt hatte. Schuster äußerte sich hingegen zuversichtlich, die beiden kannten sich aus DDR-Zeiten.
„Meinst du, Milner steckt hinter allem?“, fragte Verena am Schluss ihres Berichts. „Er gehörte in den Neunzigerjahren zur Russenmafia und kennt keine Skrupel“, begründete sie ihre Vermutung. Jürgen griff nach dem Glas mit dem frisch gepressten Orangensaft und nippte daran. „Denkbar ist es auf jeden Fall. Es könnte um Geldwäsche gehen. Baumgart soll im großen Stil Geld für die Mafia gewaschen haben. Auch für die Russenmafia. Vielleicht war auch Wächter involviert, und es ist zum Streit mit Milner gekommen. Die Mafia versteht in diesen Dingen keinen Spaß, auch wenn ihre Führer heutzutage gerne in Nadelstreifenanzügen und als seriöse Geschäftsmänner auftreten. Ihr solltet euch mit Baumgarts Geschäften unbedingt näher befassen.“
„Du weißt, dass die Kollegen vom Dezernat für Wirtschaftskriminalität sich seit Jahren die Zähne an ihm ausbeißen. Und wie ich seinen Nachfolger Hansen einschätze, der wird schweigen wie ein Grab“, gab Verena zu bedenken. „Außerdem hatte ich nicht den Eindruck, dass Hansen etwas von den schmutzigen Geschäften weiß, die Baumgart und Milner verbunden haben. Die Holding selbst unterhält etliche Firmenbeteiligungen und tätigt überall Investitionen, das scheint alles legal zu sein. Hansen erwähnte, dass Baumgart neben den Geschäften der Holding eigene, ihm nicht bekannte Investments gemanagt hat.“
Jürgen strich sich über die Stirn. „Ich glaube, ich nehme vorsichtshalber eine Tablette. Scheiß-Kopfschmerzen.“ Er zog die Nachttischschublade auf und entnahm ihr eine Tablette, die er mit Saft hinunterspülte. „Um auf die Mordfälle zurückzukommen: Die Grauzone zwischen legal und illegal ist ein weites Feld. Und
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