Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
verlasse.“
Während Wagner ihn zur Tür brachte, geriet er ins Grübeln. Pietro hatte mit Sicherheit nicht die Wahrheit über den Grund seines Besuches gesagt. Dass er gekommen war, um Wagner einen Gefallen zu tun, gehörte in den Bereich der Fabeln. Wagner nahm es ihm nicht ab. Es ging um Rache und er war keinesfalls gewillt, den Racheengel zu spielen. Und wer weiß schon, ob Pietro in seinem Frust nicht übertrieben hatte. Jedenfalls war er jetzt gewarnt und würde in Zukunft noch mehr auf der Hut sein. Im Wohnzimmer schenkte er sich ein Glas Rotwein ein und ließ die Informationen der letzten halben Stunde Revue passieren. Es stand fest, dass Wächter Marion Klaßen bespitzeln ließ. War er dabei auf mehr als nur auf ihre amourösen Bettgeschichten gestoßen und hatte er sein Wissen mit Wagner teilen wollen? Hatte die Fraktionsvorsitzende davon erfahren und …? Nein und nochmals nein, beschwor er sich. Selbst wenn Wächter Marion Klaßen erpressen wollte, hätte sie andere Mittel und Wege gefunden, ihn ruhigzustellen. Auch wenn sie eine Frau war, die über Leichen ging, war sie keine Mörderin. Ihre Methoden waren andere: Intrigen, Verleumdungen, sich hochschlafen, ihre Gegner bespitzeln und unter Druck setzen, aber Mord, niemals! Nur, weshalb hatte sie ihn ins Visier genommen? Was, befürchtete sie, hatte Wächter ihm vor seinem Tod anvertraut?
Er könnte Marion Klaßen direkt ansprechen und mit Pietros Aussagen konfrontieren. Doch was würde das bringen? Sie würde ihm lächelnd versichern, dass Pietro ein eifersüchtiger Hitzkopf sei, der Lügen über sie in Umlauf gesetzt habe. Vermutlich war es klüger, sich erst einmal bezüglich der Klinik endgültig Gewissheit zu verschaffen. Und genau das würde er jetzt tun.
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H ANNOVER
D EZEMBER 2009
Plötzlich ging alles ganz schnell, so rasend schnell, dass ich keine Chance mehr hatte, die sich anbahnende Katastrophe abzuwenden. Einen Tag nach Müllers unrühmlichem Abgang weigerte sich ein Großkunde, das Bauunternehmen Schlenkermann, seine Rechnung über 200.000 Euro zu bezahlen. Angeblich waren die gelieferten Armaturen schadhaft. Eine Lüge, die mich in große Schwierigkeiten brachte. Für die monatlichen Umsatzsteuervorauszahlungen, Gehälter und Sozialabgaben reichte der eingeräumte Kreditrahmen nicht aus. Trotz der neuen Sicherheit in Form meines Privathauses weigerte sich meine Bank, den Kreditrahmen auszuweiten. Erstmals seit ihrem Bestehen konnte meine Firma die Gehälter nicht pünktlich zahlen
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Und zu allem Überdruss ließ sich Schlenkermann am Telefon verleugnen. Auch sein Einkaufsleiter zeigte mir die kalte Schulter, die Lage spitzte sich zu. Ich informierte das Führungspersonal und berief für den kommenden Tag eine Personalversammlung ein, um meine Leute über die Lage zu informieren. Es gab noch weitere Außenstände, doch ich hoffte, bald wieder liquid zu sein
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Kurz vor der Versammlung kreuzte plötzlich Ansgar Müller in meinem Büro auf und fuchtelte mit einem Blatt Papier vor meiner Nase herum. „Ich habe hier ein Schreiben des Konkursgerichtes Hannover. Ihr Betriebsleiter hat wegen Zahlungsunfähigkeit und ausstehender Gehaltszahlungen einen Konkursantrag gestellt.“
Ich fühlte, wie das Blut in meinen Kopf stieg. Mein eigener Betriebsleiter, mein engster Vertrauter seit zwölf Jahren, hatte mich hintergangen. Noch gestern hatte ich mit ihm gesprochen und er mit keinem Wort erwähnt, dass er beim Konkursgericht gewesen war. Nur mühsam gelang es mir, ruhig zu bleiben und das unangenehme Schwindelgefühl zu ignorieren
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„Ich bin vom Gericht zum Konkursverwalter bestellt worden“, hörte ich Müller aus weiter Ferne sagen. „Ab sofort werde ich die Geschäfte übernehmen. Ich muss Sie daher bitten, Ihr Büro zu verlassen und mir Ihre Schlüssel auszuhändigen. Sie haben mit sofortiger Wirkung Hausverbot.“
Ich schnappte nach Luft, und obwohl ich saß, war der Schwindel stärker geworden. Erst allmählich wurde mir klar, dass das, was um mich herum passierte, kein schlechter Film, sondern Wirklichkeit war. Es kostete mich Mühe, die Gedanken, die auf mich einstürmten, zu sortieren. Müllers Gesichtsausdruck war unergründlich. Verdammt, dachte ich, der Hurensohn hat es von Anfang an darauf angelegt, mich in den Konkurs zu treiben. Wut stieg in mir hoch. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte ihn verprügelt. Als ich etwas sagen wollte, versagte meine Stimme. Erst nach dem zweiten Anlauf brachte ich schließlich
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